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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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und trocken. Ich bekam allmählich Durst. Ich las das Kapitel zu Ende, und dann stand ich auf, zog den Mantel über meinen Schlafanzug und ging mir eine Coke holen.
    Das Commons war blitzsauber und menschenleer. Alles roch nach frischer Farbe. Ich ging durch den Wäscheraum, der noch unberührt war und hell erleuchtet, die cremefarbenen Wände wieder frei von dem Gewirr der Graffiti, die sich im Laufe des Herbstes angesammelt hatte, und zog mir eine Dose Coke aus der phosphoreszierenden Reihe der Automaten, die summend am Ende des Ganges standen.
    Als ich zurückging, hörte ich zu meiner Verblüffung hohle, blecherne Musik aus den Gemeinschaftsräumen. Der Fernseher lief; Laurel und Hardy, vernebelt durch einen Blizzard von elektronischem Schnee, rackerten sich mit einem Konzertflügel ab, den sie eine hohe Treppe hinaufschaffen wollten. Erst dachte ich, sie spielten für einen leeren Raum, aber dann sah ich den zottigen blonden Schopf an der Rückenlehne einer einsamen Couch, die vor dem Fernsehapparat stand.
    Ich ging hin und setzte mich. »Bunny«, sagte ich. »Wie geht es dir?«
    Er sah sich nach mir um; seine Augen waren glasig, und er brauchte ein oder zwei Sekunden, um mich zu erkennen. Er stank nach Schnaps. »Dickie Boy«, sagte er mit schwerer Zunge. »Ja.«
    »Was machst du hier?«
    Er rülpste. »Mir ist ziemlich schlecht, um dir ganz ehrlich und bei Gott die Wahrheit zu sagen.«
    »Zuviel getrunken?«
    »Nee«, sagte er schroff. »Magengrippe.«
    Der arme Bunny. Er konnte niemals zugeben, daß er betrunken war; er behauptete immer, er habe Kopfschmerzen oder er brauche neue Brillengläser. So war er übrigens in vielen Dingen. Einmal erschien er morgens nach einem Date mit Marion beim Frühstück mit einem Tablett voll Milch und Zuckerkringeln, und als ich mich setzte, sah ich am Hals über seinem Kragen einen dicken, lilaroten Knutschfleck. »Wo hast du den denn her, Bun?« fragte ich. Es sollte ein Scherz sein, aber er fühlte sich gleich angegriffen. »Bin ein Stück die Treppe runtergefallen«, sagte er brüsk und verspeiste schweigend sein Frühstück.
    Ich spielte also die Geschichte von der Magengrippe mit. »Vielleicht ist es was, was du dir in Übersee geholt hast«, erwog ich.
    »Vielleicht.«
    »Schon auf der Krankenstation gewesen?«
    »Nein. Die können nichts machen. Das muß seinen Gang gehen. Setz dich lieber nicht so dicht neben mich, mein Alter.«
    Ich saß zwar schon am anderen Ende der Couch, aber ich rutschte noch ein Stückchen weiter weg. Eine Zeitlang saßen wir stumm da und starrten auf den Bildschirm. Der Empfang war schrecklich. Ollie hatte Stan gerade den Hut über die Augen gezogen, und Stan irrte im Kreis herum, stieß überall an und zerrte verzweifelt mit beiden Händen an der Krempe. Er prallte gegen Ollie, und Ollie schlug ihm mit dem Handballen auf den Kopf. Ich schaute zu Bunny hinüber und sah, daß er ganz gefesselt war. Sein Blick war starr, und sein Mund stand ein bißchen offen.
    »Bunny«, sagte ich.
    »Yeah?« antwortete er, ohne den Blick vom Fernseher zu wenden.
    »Wo sind die anderen?«
    »Schlafen wahrscheinlich«, meinte er gereizt.
    »Weißt du, ob die Zwillinge da sind?«
    »Vermutlich.«
    »Hast du sie gesehen?«
    »Nein.«
    »Was habt ihr bloß alle? Bist du sauer auf Henry oder so was?«
    Er gab keine Antwort. Ich sah sein Gesicht von der Seite; es war absolut ausdruckslos. Einen Moment lang verließ mich der Mut, und ich schaute wieder in den Fernsehapparat. »Habt ihr Streit gehabt in Rom, oder was?«
    Ganz plötzlich räusperte er sich geräuschvoll, und ich dachte schon, er werde mich auffordern, mich um meinen eigenen Kram zu kümmern, aber statt dessen deutete er mit dem Finger herüber und räusperte sich noch einmal »Trinkst du die Coke da?« fragte er.
    Ich hatte sie ganz vergessen; sie lag mit Feuchtigkeit beschlagen ungeöffnet auf dem Sofa. Ich reichte sie ihm, er riß sie auf, trank in großen, gierigen Schlucken und rülpste.
    »Mach mal Pause«, sagte er, und dann: »Laß dir einen kleinen Tip in Sachen Henry geben, mein Alter.«
    »Nämlich?«
    Er trank noch einen Schluck und schaute wieder zum Fernseher. »Er ist nicht das, was du glaubst.«
    »Was meinst du damit?« fragte ich nach einer langen Pause.
    »Ich meine, er ist nicht das, was du glaubst«, sagte er, lauter diesmal. »Oder was Julian glaubt oder sonst jemand.« Wieder nahm er einen Schluck Coke. »Eine Zeitlang hat er mich wirklich zum Narren gehalten.«
    »Yeah«, sagte

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