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Die geheime Mission des Nostradamus

Titel: Die geheime Mission des Nostradamus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle Riley
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durch das Stadttor klapperten, musterte ich die grimmigen Mienen der Männer, die mich umringten, und versuchte, sie in eine Unterhaltung zu ziehen. Doch sie gaben keine Antwort, und einer, jünger als die anderen, wandte sogar den Blick ab. Auch Befehl, dachte ich. Sie haben Angst, daß ich mich aus meiner Bedrängnis herausrede. Während wir in Richtung Süden durch die sanft gewellte Herbstlandschaft ritten, wo sich die ersten gelben Blätter zeigten, wurde mir immer klarer, daß mich auf dem abgeschieden gelegenen Schloß der Königin, fern von meinen Verwandten und Freunden und jeglicher Hoffnung, nichts Gutes erwartete.

    Es dunkelte bereits, und der Nachtwächter machte seine Runde durch die Straßen, als Madame Tournet Baptiste, mit einem Entermesser bewaffnet, an die Haustür schickte, auf die jemand ungestüm einhämmerte.
    »Madame Tournet, ich bin es, Nicolas«, rief eine Stimme, und Tantchen hievte sich, nur mit Hemd und einer Schlafmütze bekleidet, aus dem Bett. Sie ließ sich von ihrer Zofe in einen stoffreichen Hausmantel helfen und eine Kerze anzünden. Als sie in die salle trat, erblickte sie auf der Schwelle Nicolas und seinen Vater, in schwere Umhänge gehüllt und mit Laternen in der Hand.
    »Kommt herein und setzt Euch«, sagte sie. Im Dunkeln hüpften die Kerzenflammen der Dienerschaft hierhin und dorthin, während Stühle herangezogen wurden und man eine Flasche Wein nebst Bechern von der Anrichte holte.
    »Wo ist Eure Nichte?« fragte der alte Mann. »Mein Sohn ist heute abend eingetroffen. In der Kapelle St. Jacques de la Bûcherie wartet ein Priester, der die beiden noch heute nacht vermählt. Wir werden dafür sorgen, daß sie noch im Morgengrauen außer Landes sind, ehe die Spione der Königinmutter überhaupt darauf kommen, was geschehen ist.«
    »Zu spät«, sagte Tante Pauline. »Man hat sie heute nachmittag abgeholt.«
    »Sie ist fort?« sagte Nicolas, und sein Blick drückte Verzweiflung aus. »Wohin, um Himmels willen? Hat man es Euch gesagt?«
    »Nach Chaumont-sur-Loire«, antwortete Tante Pauline. »Unter schwerer Bewachung.«
    »Ein furchtbarer Ort«, sagte Scipion Montvert. »Die Königinmutter soll in Chaumont einen gräßlichen Turm voller Zaubersachen haben und mit Hilfe von Wahrsagern und Zauberern, die sie dort um sich schart, Unschuldige mit einem bösen Bann belegen.«
    »Ein schlechtes Omen, würde ich meinen. Es ist offenkundig, daß sie Pläne schmiedet, wie sie Menander den Unsterblichen loswerden kann.«
    »Und meine Sibille… meine Sibille… ich reite los, ich reite auf der Stelle los…«
    »Selbst der wahren Liebe öffnen sich die Stadttore von Paris nicht vor Sonnenaufgang«, entgegnete Madame Tournet. »Bitte, bleibt über Nacht hier. Ich… brauche Gesellschaft.«
    Nachdem sie Nicolas überzeugt hatten, daß er Schlaf benötige, leistete der Bankier Madame Tournet Gesellschaft, während die Kerzen niederbrannten und sie Flasche um Flasche leerten.
    »Mein einziger Sohn, Ihr versteht…«, seufzte der alte Mann.
    »Ich habe mich seit ihrer Geburt um sie gekümmert…«, sagte Tantchen.
    »Ob ich ihn nun gehen lasse oder ihn zum Bleiben bewege – ich verliere ihn so oder so.« Monsieur Montvert stützte den Kopf in die Hände. »Liebe ist eine Katastrophe.«
    »Ja, eine Vernunftheirat ist so viel einfacher«, bestätigte Tantchen. Doch vor ihrem inneren Auge sah sie ihren Vater, wie er über ihr stand, als sie den Ehevertrag mit einem Mann unterschrieb, den sie niemals lieben konnte.
    »Man sollte zuerst heiraten, wie es sich ziemt, und sich dann liebenlernen«, sagte der Bankier, doch in seinem Herzen stieg das Bild eines Mädchens mit dunklem Teint und braunen Augen an einem gewissen Brunnen in Florenz auf, wie sie ihren Krug füllte. Sorgsam, rasch löschte er das Bild und ersetzte es durch das schmale, kränkliche Gesicht seiner Frau, einer Erbin aus bestem Haus – die Wahl seines Vaters. Sein Vater hatte natürlich recht gehabt. Sein Vater hatte immer recht gehabt.
    »Ja, so sollte es sein«, sagte Tante Pauline und schenkte noch einen Becher Wein ein. »Die Liebe ist ein Fluch.«
    Doch der alte Bankier erwiderte nichts. Er war – nicht mehr ganz nüchtern – eingeschlafen, und der Kopf war auf die Lehne gesunken. Als er anfing zu schnarchen, bemerkte Tante Pauline eine verirrte Träne auf seinem unrasierten Gesicht. Sorgsam deckte sie ihn mit seinem Umhang zu und taumelte ins Bett, wo sie die ganze Nacht von Blut träumte.

    Die wartenden Bootsleute

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