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Die geheime Mission des Nostradamus

Titel: Die geheime Mission des Nostradamus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle Riley
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Wegs?« fragte der Rittmeister der Bogenschützen, der auf der Treppe stand.
    »Kurier von Signor Gondi für Ihre Majestät, die Königinmutter«, sagte Nicolas mit starkem italienischem Akzent.
    »Ha! Der Bankier! Bring demnächst meinen Sold mit!« Nicolas tat, als sei es mit seinem Französisch schlecht bestellt, nickte jedoch freundlich, wie es Fremdländer tun, wenn sie einen Witz nicht verstehen, und eilte zum Treppenabsatz hoch. Ein unangenehmer Gedanke durchzuckte ihn. Wie sollte er in dieser Ansammlung von Stein herausfinden, wo man seine Sibille versteckte?
    »Bursche, dort geht es nicht zu den Gemächern der Königinmutter!« rief der Wachposten und deutete vage in eine Richtung.
    »Mille grazie«, bedankte sich Nicolas.
    »Vermaledeiter Fremdländer«, brummte der Wachposten und spuckte auf die Steintreppe.
    Nicolas tat so, als wüßte er, wohin er wollte, und ging in die Richtung, die ihm die Hand gezeigt hatte, bis er außer Sichtweite war; dann wandte er sich an einen Pagen, der einen Wasserkrug trug, und der sagte ihm, daß die Königin gerade die Astrologenkammer verlassen habe. Astrologenkammer, dachte Nicolas. Genau der Ort, wo sie wohl den widerlichen sprechenden Kopf aufbewahrt. Und wo der Kopf ist, da muß auch Sibille sein. Mit der Hand am Schwertknauf stieg er die Stufen zum Observatorium im Turm hinauf, wo er die Astrologenkammer vermutete. Als er durch die Tür stürzte, stand er in einem hohen Raum mit Ziegelsteinwänden, in dem das letzte Zwielicht gedämpft durch hohe, schmale Fenster fiel. Auf einer riesigen offenen Feuerstelle stand ein Athanor, in der Ecke erblickte er ein Himmelbett, längs der Wand einen Arbeitstisch mit Büchern, Flaschen und einem menschlichen Schädel.
    »Herein«, sagte eine Stimme aus dem Schatten, und Nicolas machte hinten im Raum die Gestalt eines Mannes von mittlerem Wuchs und mit langem Bart aus. Vor ihm auf einem Schreibtisch lag etwas Flaches, Metallisches, und auf dem Boden stand ein Käfig mit lebenden Tauben. Der Mann trug Hut und Arztrobe. Montpellier, nicht Paris, dachte Nicolas. Ich kenne ihn. Das ist der Doktor, der Sibilles Arm behandelt und mir mein Sternzeichen auf den Kopf zugesagt hat.
    »Ich habe Euch erwartet«, sagte der alte Mann.
    »Doktor Nostredame«, sagte Nicolas, »was macht Ihr hier?«
    »Ein geheimer Auftrag«, erwiderte der große Prophet, trat aus dem Dunkel und begrüßte Nicolas. »Wenn Ihr es unbedingt wissen müßt, ich soll einen Zauberspiegel herstellen, für den man mir vermutlich weitaus weniger bezahlt, als er wert ist. Und ich, ich verlasse mein schönes, warmes Klima, das meinen Gelenken so zuträglich ist, lasse mich wie einen Sack Gerste von der Leibwache der Königin mitten in der Nacht abschleppen, und das alles, weil eine Dame mittleren Alters das schlechte Gewissen plagt. Und dabei hätte sie mich um Rat bitten können, als noch Zeit war, alles zu bereinigen. Aber nein, nein. Cosmo Ruggieri, Simeoni, Gauricus, jeden alten Quacksalber, der bei ihr angeklopft hat – nur nicht Nostradamus, der immer schon gewußt hat, daß sie besser die Finger davon gelassen hätte. Und warum seid Ihr hier?«
    »Ich denke, das wißt Ihr auch schon«, entgegnete Nicolas.
    »Nein, ich hatte nur einen dieser kleinen prophetischen Träume, daß Ihr hier vollgestaubt stehen und mich mit irgend etwas belästigen würdet. Sagt, was Euer Begehr ist, und dann geht.«
    »Das muß Schicksal sein«, seufzte Nicolas. »Ich bin gekommen, weil ich Sibille Artaud de la Roque retten will, meine einzig wahre Liebe. Sie wird hier gefangengehalten, aber ich habe keine Ahnung, wo sie ist. Ihr jedoch, ein Wahrsager, müßt sie doch auf der Stelle finden können.«
    »Ah, die Dichterin. Und Ihr erwartet, daß ich sie finde?« sagte der alte Doktor. »Aber sagt, warum glaubt Ihr, daß sie hier ist?«
    »Ihr wißt doch, dieser grausige mumifizierte Kopf, den man ihr aufgebürdet hat«, sagte Nicolas. »Ihre Tante Pauline glaubt, daß die Königin ihn jetzt loswerden will. Und die einzige Art, ihn loszuwerden, besteht darin, auch Sibille loszuwerden.« Unversehens fiel Nicolas vor dem alten Mann auf die Knie, nahm den Hut ab und drückte ihn ans Herz. »Maestro, Ihr müßt mir helfen. Ich flehe Euch an. Falls Sibille etwas zustößt, muß ich mich töten, und das würde meinem Vater das Herz brechen.«
    »Eures etwa nicht?« fragte der alte Doktor und kicherte. »Ach, ihr Jünglinge. Als ich in Eurem Alter war, hatte ich auch eine Leidenschaft – aber die

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