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Die geheime Mission des Nostradamus

Titel: Die geheime Mission des Nostradamus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle Riley
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Siegel verschlossen war. Es war ein Brief, der an La Mère Poitiers – die alte Mutter Poitiers –, nicht an die Herzogin, nicht an die teuerste Verwandte gerichtet war. Er kam von der Königin und enthielt die Aufforderung zur Rückgabe der Kronjuwelen, der Staatsgelder, der Schlösser und Geschenke aus der Schatzkammer und der königlichen Ländereien, mit denen der König sie überhäuft hatte. Die Königin wollte Chenonceaux haben, das weiße Schloß der lauen Lüfte und der fröhlichen Feste, das wie ein Hochzeitskuchen am Ufer des Cher lag. Dieser Brief schnitt so kalt und präzise wie ein Chirurgenmesser, und der Herzogin gerann das Blut in den Adern.
    Er muß leben, er muß leben, wiederholte sie wieder und wieder bei sich, während sie im Betstuhl neben ihrem Bett niederkniete, der einst lediglich Zierat gewesen war. Doch ein Flüstern wie von vertrockneten Blättern drang in ihre Ohren: Du hast dir gewünscht, daß die Königin niemals Einfluß auf ihn bekommt, und siehe, es wird niemals geschehen. Ich habe deinen Herzenswunsch erfüllt.

    Am zehnten Tag erlangte der König kurz das Bewußtsein und rief den Dauphin zu sich. »Mein Sohn«, wisperte er, »du wirst zwar ohne Vater sein, doch nicht ohne meinen Segen. Ich bete zu Gott, daß du mehr Glück hast, als mir beschieden war.« Der kränkliche Junge erlitt erneut eine Ohnmacht, und als er in seinem Schlafgemach wieder zu sich kam, sagte er unter Tränen: »Mein Gott, wie kann ich leben, wenn mein Vater stirbt?« Und obwohl ihm sogar der mächtige Kardinal von Lothringen Trost anbot, hatten sich für den Dauphin – einen Augenblick lang – die Nebel der Zukunft gelichtet, und er wußte, daß ihm nun nichts mehr half: nicht seine hübsche Gemahlin, nicht seine klugen Schwiegeronkel, nicht seine finstere Mutter. In diesem lichten Moment hatte ihn der Tod angeblickt.
    In dieser Nacht rasselte der Atem des Königs, und die Chirurgen einigten sich auf eine verzweifelte letzte Maßnahme: Sie würden den Schädel öffnen. Doch als sie den Verband abnahmen, rann so viel Eiter aus der Augenhöhle, daß sie wußten, keine Operation, zu der sie fähig waren, konnte das Hirn des Königs retten. Sie verbanden den fiebernden Kopf und ließen die Priester zur Letzten Ölung holen.

    Es war Sitte, daß die verwitweten Königinnen von Frankreich Weiß trugen, doch Katharina von Medici, die sich in ihren Gemächern eingeschlossen hatte, entschied sich für schwarze Trauerkleidung wie für eine Witwe von niederer Herkunft oder wie die Kleidung eines italienischen Höflings. Die funkelnden Goldstickereien, die bunten Samtkleider, die schimmernden Seiden wurden von Hofdamen weggebracht, Arbeiter kamen und verhängten die Gemächer der Königin im Louvre, ihre Möbel und ihre Fenster mit schwarzem Tuch. Während Katharina mit tränenverquollenem Gesicht in den abgedunkelten Räumen umherirrte, sich in den Betstuhl kniete – ihre Augen vermochten jedoch nicht lange auf dem Gebetbuch zu verharren – oder des Nachts aufrecht im Bett saß, kamen ihr andere Gedanken. Dann weckte sie ihre Dienerinnen mit der Forderung, ihr Wappen müsse geändert werden. Diese hofften, sie hätte es am nächsten Tag vergessen, doch die Königin ließ einen Gelehrten vom Wappenamt kommen, verbannte den Regenbogen, den ihr der alte König Franz vermacht hatte, und skizzierte eigenhändig eine abgebrochene Lanze in eine Kartusche und darunter das Motto Lacrimae hinc, hinc dolor, hier gibt es Tränen, hier gibt es Schmerz.

    Doch in der anhaltenden Düsternis ihrer verhängten Gemächer, wo selbst bei Tage Kerzen brennen mußten, hörte die Königin ein Rascheln wie von trockenen Blättern und verstohlenes Lachen. Und dann ertönte die Stimme, bei der ihr ein Pfeil durch den Leib schoß und es in ihrem Kopf hämmerte, als ob er bersten wollte: »Erhabene Königin, die Herzogin wird sein Herz nie mehr besitzen. Seht, wie ich Euren Herzenswunsch erfüllt habe.«
    Doch Katharina war eine Medici und aus hartem Holz geschnitzt. Sie flüsterte in die Schatten: »Noch hast du nicht gewonnen. Ich suche mir einen stärkeren Zauber und werde dich besiegen.«
    »Oh, erhabene Königin, Ihr seid wirklich eine würdige Gegnerin. Eine wie Euch habe ich in tausend Jahren nicht kennengelernt. Aber falls Ihr glaubt, Ihr wärt gerettet, entsinnt Euch Eurer anderen Wünsche.«
    »Meine Kinder!« entfuhr es der Königin.
    »Ach ja, Eure Kinder. Wißt Ihr noch, was Ihr Euch gewünscht habt? Daß die Königin von

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