Die geheime Reise
Kostüme, ragten drei lange, leuchtend rote Federn hervor. Die Felskugeln waren dunkel wie Granit und hatten die Größe von Gymnastikbällen. Taro lächelte über Wanjas fassungsloses Gesicht.
»Komm mit, wir wärmen uns auf«, sagte er, als Thrym und Thyra sich in der Manege die Felsen zuwarfen, einhändig und so leicht, als wären es Federbälle. »Die Generalprobe hat immer was von einer echten Vorstellung. Auch wenn noch keine Zuschauer da sind, man spürt sie doch irgendwie, und das erzeugt Aufregung, auch im Körper. Je besser du gedehnt bist, desto kleiner ist die Gefahr, dass deine Muskeln sich verkrampfen.«
Wanja folgte Taro nach draußen. Er zog aus dem Vorraum zwei Unterlagen hervor und legte sie für sich und Wanja auf den ockerfarbenen Erdboden hinter der Manege. Ein Stück weiter saß Sulana und massierte die Schlange mit einer öligen Flüssigkeit ein.
Wortlos versuchte Wanja Taros Dehnübungen zu folgen, aber an die Biegsamkeit seines Körpers kam sie bei weitem nicht heran.
»Du musst atmen«, sagte Taro, als Wanja sich vergeblich bemühte mit ihrer Stirn die Knie zu berühren. »Dein Atem hat viel mehr Kraft, als du denkst. Setz dich gerade hin und atme ein. Nein, nicht durch den Mund, Wanja. Durch die Nase. Atme, so tief du kannst. Noch tiefer. Dein Bauch muss dick wie eine Trommel werden. Ja, genau, schon besser so. Und jetzt«, Taro beugte sich vor, »atme aus. Aber langsam; ganz langsam und bewusst und dabei beugst du dich immer weiter nach vorne. Stell dir vor, dein Atem ist ein feiner goldener Faden, der dich führt und deine Stirn ganz sanft auf die Knie zieht. Jaaa. Siehst du? Es geht.«
Taro lächelte, als Wanjas Kopf tatsächlich ein ganzes Stück weiter mit der Stirn nach vorne kam. »Das wiederholst du jetzt so lange, bis dein Kopf auf den Knien liegt. Aber nicht mit Gewalt, lass den Mund dabei locker und verschwende deine Kräfte nicht.«
Nach einer Weile lag Wanjas Stirn auf den Knien und die Schmerzen in ihren Gliedern ließen nach. Sie konnte fühlen, wie ihr Körper wärmer und biegsamer wurde.
Während der nächsten Übungen zogen die Geräusche in der Manege an Wanjas Ohren vorbei. Die Trommeln, Noaehs Gesang, einmal ein Glockenspiel und plötzlich ein ohrenbetäubender Lärm. Es klang, als ob gerade ein ganzes Stahlgebäude in sich zusammengefallen wäre. Und dann: »DU BEKLOPPTER IDIOT! WENN DIR DAS BEI DER VORSTELLUNG PASSIERT, HAU ICH DIR DEN KOPF AB, VERSTANDEN?!«
Kurz darauf schlich Thrym aus der Manege, tief geduckt, die Stangen auf seinen gewaltigen Armen. Wanja warf ihm einen mitfühlenden Blick zu. In der Manege ertönten jetzt wieder die Trommeln und Taro stand auf. »Bist du so weit? Dann leg den Umhang wieder um und triff mich hinter dem Vorhang. In ein paar Nummern sind wir dran.«
Warm war es, als Wanja zurück zum Vorhang kam. Taro erwartete sie schon, ihr großes Spiegelbild. Seine Augen lachten, als er seine leuchtend roten Flügel hob. Dann schob er sie dicht an den Vorhang.
Durch den schmalen Spalt leuchtete ein feuriger Schein und jetzt verstand Wanja, woher die Wärme kam. Perun stand in der Manege. Er trug ein grün goldenes Drachenkostüm mit einem langen gezackten Schweif. In den Händen hielt er eine brennende Fackel, die er nun zum Munde führte. Im nächsten Moment stob ein mächtiger Feuerball in die Luft, zerstörerisch und wunderschön zugleich. Wie gebannt stand Wanja da – und als die Pfeilnummer folgte, klatschte sie laut in die Hände. Peruns Pfeilspitze traf den glühenden Mittelpunkt und die Scheibe ging in hellen Flammen auf. Der Herr des Feuers nahm sie ab, drehte sie wie einen Teller auf der Spitze seines Fingers, warf sie in die Luft, fing sie mit dem Finger der anderen Hand wieder auf und verließ die Manege, den gewaltigen Drachenschweif hinter sich herziehend.
Bald, dachte Wanja. Bald ist es so weit. Während Pati Tatü, jetzt gekleidet in einen schwarzen Frack, sein Huhn aus den Zylindern zauberte, fühlte Wanja die Aufregung in sich hochsteigen. Vor sie hatte sich Reimundo geschoben. Er trug einen blaues Harlekingewand mit ausgestellten Schultern, weiten Ärmeln und Beinen und aufgenähten Sternen, die im Dunkeln leuchteten. Mit seinen Schafen war er der Auftakt zur Trapeznummer. Er lugte in die Manege und zuckte gleich darauf so heftig zurück, dass er fast gegen Wanja geprallt wäre.
»Was ist los?«
Wanja schob sich durch den Vorhang. Auf Pati Tatüs Kopf saß das Huhn. Es pickte auf seinem Kopf herum, wie vorher, als Pati Tatü
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