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Die geheime Reise

Titel: Die geheime Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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der Vogel jetzt auf Taro zuschoss. Die scharfe Greifzange seines geöffneten Schnabels packte nach dem Arm des Akrobaten. Wanja konnte fast spüren, wie der Vogel zubiss, wie sich die pechschwarze Spitze seines Schnabels in Taros Fleisch bohrte, fester und immer fester, bis das Blut floss. Und sie konnte Taros Kräfte nachlassen sehen, sein schmerzverzerrtes Gesicht, seine Tritte ins Nichts, seine verzweifelten Versuche, den Vogel mit der freien Hand zu verscheuchen. Vergeblich. Als der Vogel von ihm abließ, hatten Taro alle Kräfte verlassen.
Er fiel. Fiel wie ein Pfeil nach unten auf das Netz zu. Und jetzt sah Wanja, was Taro vorhin gemeint hatte, als er ihr zuschrie, dass sie sich halten sollte. Ein Seil hatte sich gelöst, sodass das Netz an einer Seite nach unten hing.
Genau auf dieser Seite kam Taro auf. Nur sein Unterkörper berührte das Netz. Sein Oberkörper prallte auf den Boden, ein dumpfer, schwerer Schlag. Mit dem Gesicht nach unten blieb Taro liegen.
Noch ein Schrei zerriss die Stille. »NEEEEEEIIIN!«
Wanja riss ihren Kopf zum Balkon der Musiker herum. Mischa. Er stolperte, nein, er fiel fast die Treppen des Balkons hinunter. Im nächsten Augenblick stand er unten in der Manege. Mit weit aufgerissenen Augen wollte er auf Taro zustürzen, aber Thyra hielt ihn fest. Die anderen Artisten hatten Taro bereits umringt. Nur Sulana saß am Boden, ihre Arme um die angewinkelten Knie geschlungen, wiegte sie ihren Oberkörper vor und zurück. Aus ihren gelben Augen liefen Tränen. Wanja stand neben ihr, noch immer nicht in der Lage, sich von der Stelle zu rühren.
Als Perun Taros Körper zu drehen versuchte, ertönte der Gong. Sein Hall vibrierte in der Manege, erfüllte alles.
»Wanja. Mischa. Ihr müsst gehen.«
Amon stand vor ihnen. Die anderen Artisten wichen zurück und gaben den Blick auf Taro frei. Er lag in Peruns Armen. Um sein Handgelenk hatte Perun den Ärmel seines Hemdes gewickelt. Taros Augen waren geschlossen. Sein Gesicht schien unverletzt, nicht einmal eine Beule war zu sehen. Nur eine feine schwarze Blutspur rann aus seinem Mundwinkel. Lief ihm die Kehle hinunter. Thrym und Pati Tatü hatten die Trage geholt. Thyra ließ von Mischa ab und half Perun Taro auf die Trage zu heben.
Lebt er? Ist Taro noch am Leben? Wieder und wieder öffnete Wanja ihren Mund, um die schreckliche Frage auszusprechen. Aber es ging nicht. Kein Laut drang aus ihrer zugeschnürten Kehle hervor.
Der Gong schlug zum zweiten Mal.
»Ihr müsst gehen.« Der Alte machte noch einen Schritt auf Mischa zu. Der schien in einem anderen Zustand zu sein. Eine unsichtbare Mauer umgab ihn. Eine Mauer von grenzenloser Wut. Der Vogel saß oben auf dem Trapez. Er hatte den höchsten Platz der Manege eingenommen, wie ein böser Herrscher den Thron seines düsteren Reichs.
Thrym und Thyra trugen die Bahre aus der Manege, die Artisten folgten ihnen. Ein Trauerzug gebeugter Menschen. Baba war der Turban vom Kopf gefallen, mit hoch erhobenen Armen bildete er den Schluss.
Amon, Wanja und Mischa blieben zurück. Amon griff nach Mischas Arm. Aber der riss sich los und rannte. Rannte den anderen hinterher und verschwand durch den Vorhang nach draußen.
Über Wanja ertönte ein heiseres Krächzen. Es klang wie ein Triumph.
Dann legte sich eine Hand auf ihren Rücken. »Wenn du jetzt nicht gehst, gibt es für Mischa keine Rettung mehr.«
Wanja ließ sich von Amon zum Rahmen schieben. Sie war wie in Trance. Leere breitete sich in ihr aus und drang bis tief in ihre Seele. Die Leere war rabenschwarz wie das Loch im Inneren des Rahmens, das Wanjas Hand jetzt berührte. Genau beim dritten Gong.
D ER H ÜTER DER B ILDER
    A ls Wanja in der Arkade wieder zu sich kam, schrie sie leise auf.
Mischa stand vor ihr.
»Mischa?! … Was …?« Wanja machte einen halben Schritt auf ihren Freund zu. »Wie kommst du hierher? Du warst doch gerade noch …« Weiter kam sie nicht. Weil ihr auffiel, wie Mischa sie ansah. Mit einem fremden, völlig ausdruckslosen Blick. Auch vorhin, im Bild, war er Wanja fremd vorgekommen. Aber es war immer noch Mischa gewesen.
Und jetzt – in ihrer Brust krampfte sich etwas zusammen – jetzt erschien es ihr, als ob … ja, als ob etwas fehlte. Nichts Sichtbares wie ein Arm oder ein Bein. Es war etwas anderes. Je verzweifelter sich Wanjas Blick in Mischas hineinbohrte, desto schmerzhafter wurde es ihr bewusst. Aber was? Was war es, das fehlte?
Bevor Wanja noch etwas sagen konnte, wandte sich Mischa ab, und als sie hinter ihm her aus der

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