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Die geheime Reise

Titel: Die geheime Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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beiden waren, denn ihr Porträt war das Schönste von allen. Er sagte, er wüsste es nicht, er hätte sie irgendwann einmal auf einem Straßenfest gemalt. Drei Tage später war das Bild nicht mehr da, er sagte, er hätte es verkauft, und ich weiß noch, dass ich traurig darüber war. Stattdessen malte er an diesem Tag ein Bild von mir.«
Jo schloss die Augen, sie sah plötzlich so verloren aus, dass Wanja Angst bekam. Ihr fiel auf, dass Jo Jolan noch kein einziges Mal beim Namen genannt hatte, und sie hatte das Gefühl, ihre Mutter vermied es, um sich vor dem Schmerz zu schützen, wenigstens ein wenig. Ihre Stimme war wieder ganz leise, als sie fortfuhr. »Wie viel Ähnlichkeit der Kleine mit ihm hatte, wurde mir erst in dem Moment bewusst, indem ich die beiden sah, und jetzt wusste ich natürlich auch, warum die Spieluhr unter seinem Bett gelegen hatte. Ich starrte den Kleinen an und stellte mir vor, wie er in seinem Bett lag, in unserem Bett, das Schäfchen im Arm und wie er dem Lied zuhörte. Dann schossen mir andere Kleinigkeiten in den Kopf. Die Stoffwindel, die einmal in seinem Badezimmer lag. Diese Dinger gab es früher schon, ich weiß noch, dass ich dachte, er benutzt sie als Waschlappen.«
Wieder lachte Jo bitter auf. »Dann die eine Hälfte des Schrankes in seinem Zimmer, die immer abgeschlossen war. Meine Sachen, die oft an einer anderen Stelle lagen, wenn ich wieder kam. Viel hatte ich nie mit bei ihm, aber das, was da war, muss er jedes Mal verschlossen haben, wenn ich ging. Und das Gleiche tat er wahrscheinlich auch bei ihr. Bei der anderen. In diesem Moment hasste ich am allermeisten mich selbst. Wie konnte ich so blind, so blöde sein? Etwas in mir wollte schreien und laufen, laufen. Aber es ging nicht. Ich stand da, als sei ich dazu verdammt worden. Er hatte nur Augen für den Kleinen, der Schritt für Schritt auf seine ausgebreiteten Arme zutorkelte. Dann sah ich die Frau, zart, zerbrechlich, mit glattem dunklem Haar. Die Frau von dem Bild. Sie ging hinter dem Jungen her und ich weiß noch, wie ich mir mit aller Verzweiflung wünschte, dass es irgendeine Frau war, eine Schwester, eine Kusine, von mir aus auch die Exfrau mit ihrem gemeinsamen Sohn, aber natürlich wusste ich, dass es nicht so war. Der Kleine stürzte sich in die Arme seines Vaters und er hob ihn hoch, hoch in die Luft, wirbelte ihn im Kreis herum und dann nahm er auch die Frau in den Arm. Die beiden küssten sich, hielten sich fest umschlungen, und als sie sich voneinander lösten, flüsterte er ihr etwas ins Ohr. Sie sah ihn an und lächelte, dann sagte auch sie etwas. Er grinste und zeigte fragend nach oben. Sie nickte. Er übergab ihr den Kleinen, trat einen Schritt zurück, legte die Hände wie einen Trichter vor den Mund und schrie. Er schrie in den blauen Himmel hinein, wie sehr er sie liebte, und der Kleine patschte in die Hände, während deine Füße gegen meine Bauchdecke traten, fester und immer fester. Aber ich konnte mich noch immer nicht rühren und noch immer bemerkte er nicht, dass ich da war.
Es war der Junge, der ihn auf mich aufmerksam machte. Er fing auf den Armen seiner Mutter zu strampeln an. Sie ließ ihn herunter und das Kind lief auf mich zu, mit seinen taumelnden Schritten. Die Frau sah ihm lachend hinterher. Da wandte auch er den Kopf – und sah mich. Sein lächelndes Gesicht erstarrte. Er öffnete den Mund, sagte aber nichts, er schaute nur panisch zu der Frau an seiner Seite und wich zurück, als wollte er vor einem wilden Tier fliehen. Ich glaube, diese Reaktion war das Schlimmste.
Ich bekam noch immer keinen Ton heraus. Aber mein Gesichtsausdruck muss Bände gesprochen haben, denn jetzt blickte auch die Frau verstört von mir zu ihm. Als sie meinen Bauch sah, konnte ich förmlich spüren, was mit ihr passierte. Sie hatte nichts von mir gewusst, wie ich nichts von ihr gewusst hatte, und jetzt wurde ihr alles klar, genau wie mir einen Augenblick zuvor. Ihr Gesicht war ein Spiegel meiner Gefühle. Wenn der Kleine nicht hingefallen wäre, wären wir vielleicht endlos so stehen geblieben und hätten uns angestarrt. Aber das Brüllen des Kindes riss uns raus. Die Frau stürzte auf ihren Sohn zu, Tränen liefen ihr übers Gesicht, während ich innerlich wie aus Eis war. Du hattest aufgehört zu treten, aber ich begann zu zittern, am ganzen Körper. Die Frau fing an ihn anzuschreien, mit tränenerstickter Stimme warf sie ihm die schlimmsten Schimpfwörter an den Kopf, während der Kleine auf ihrem Arm immer

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