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Die geheime Reise

Titel: Die geheime Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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fragen.«
    Wanja fand keine Antwort. Sie war weder erschrocken noch erleichtert, sondern wütend. Was hatte der Kerl hier zu suchen und vor allem, wann war er hierher gekommen? Sie hatte ihn nicht gesehen, als sie im Bild gelandet war, aber sein Kommen hatte sie auch nicht bemerkt. Allerdings hatte sie auch für nichts anderes Augen gehabt als für den Akrobaten.
    Schnaubend wandte sich Wanja ab. Findet heraus, welches Bild euch angeht , hatte die alte Frau gesagt – und hinzugefügt, dass es nur eins sein würde. Dass dieses eine aber für mehrere in Frage kommen könnte, war Wanja gar nicht in den Sinn gekommen. Dabei hätten es auch drei oder fünf sein können, die jetzt hier mit ihr – Wanja schreckte aus ihren Gedanken, als in der Manege die Scheinwerfer ausgingen. Ein Schwarzlicht leuchtete auf. Zwei weiße Handschuhe sprangen aus der Dunkelheit hervor, zauberten drei leuchtend rote Bälle aus dem Nichts und begannen in atemberaubender Geschwindigkeit damit zu jonglieren. Dazu schlug die Trommel in schnellem Stakkato, die Bälle flogen durch die Luft und mit jedem Trommelschlag kam noch einer dazu. Vier Bälle, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn, eine tanzende Linie, ein schwirrender Kreis, dann wurden die Bälle in die Höhe geworfen, verschwanden im Nichts, die Hände klatschten, die eine Hand streckte ihre Fingerspitze aus und fing damit die riesige rote Kugel, die jetzt an Stelle der anderen Bälle aus der Dunkelheit herabsauste. Der Finger ließ die Kugel kreisen, schnellte ruckartig darunter weg und die Kugel fiel mit einem lauten Trommelschlag zu Boden. Im nächsten Moment befanden sich die Hände zwei Meter über der Kugel, winkten Auf Wiedersehen, die Kugel rollte weg, das Licht ging aus.
    Überraschtes Lachen im Publikum, wie ein Wirbelwind war diese Nummer durch die Manege gefegt.
    Die nächste Nummer war das genaue Gegenteil.
    Von der Manegendecke wurden Kerzenleuchter herabgelassen, in deren goldenen Lichtschein langsam und leise ein Clown trat. Er war barfuß und trug ein weißes Nachthemd. Auf seine Nasenspitze war ein roter Punkt gemalt. Mit der einen Hand drückte er eine kleine Kuh aus gelbem Samt an seine Brust, in der anderen hielt er einen hölzernen Stab, aus dessen Spitze feine Zweige hervorragten. Winzige, glitzernde Tropfen hingen daran. Mit scheuen Schritten ging der Clown in die Mitte der Manege. Seine großen runden Kinderaugen lagen staunend auf den Zuschauern. Eine ganze Weile tat er nichts anderes als stehen und staunen. Dann zuckte er ganz leicht mit den Schultern. Und dann lächelte er. Stand da und lächelte und Wanja fühlte, wie eine tiefe Traurigkeit in ihr aufstieg. Wie eine Welle bäumte sie sich in ihr auf, stieg höher und höher, strömte aus ihren Augen und lief ihr als Tränen die Wangen herab, groß und leise wie das Lächeln des Clowns.
    Als der Clown zu lächeln aufhörte, versiegte auch ihre Traurigkeit und aus den Augenwinkeln nahm Wanja wahr, dass es Mischa genauso ergangen war.
    Im Publikum war es ganz still.
    Der Clown zuckte noch einmal mit den Schultern, dann hob er seinen Stab und ließ ihn langsam über seinem Kopf kreisen. Die Tropfen lösten sich von den Zweigen, sie schwirrten und schillerten in der Luft, bevor sie lautlos zu Boden regneten. Der Clown ging einmal um die Manege herum, wobei er mit seinem Stab weitere Kreise aus funkelnden Tropfen beschrieb. Seine Stimme war fast ein Flüstern, aber Wanja konnte jedes Wort verstehen.
    »Auf meine Weise zieh ich leise Kreise durch den Raum. Ein Baum, ein Traum und eine gelbe Kuh gehören auch dazu.«
    Mit der letzten Zeile seines sonderbaren Gedichtes ging der Clown wieder hinaus. Niemand kam es in den Sinn, die Stille durch Klatschen zu stören.
    Die Kerzen erloschen, die Vorstellung war zu Ende, und erst als sich der Vorhang noch einmal für alle Artisten öffnete, kam wieder Bewegung in das Publikum. Mit wildem Applaus, Pfeifen und Füßetrampeln verabschiedete es die Künstler, die jetzt nacheinander in die Manege kamen:
    Ein schrankgroßer Mann, mit langem, wildem Haar, nacktem Oberkörper und einer brennenden Fackel in der Hand.

    Ein junges Mädchen mit kurz geschorenem Kopf und einer langen Schlange um den Hals.
    Ein älterer, kichernder Mann, mit hellgelben Blumenkohllocken und weißen Handschuhen, der auf einem hohen Einrad sitzend mit fünf roten Bällen jonglierte.
    Zwei gewaltige Muskelmenschen, von Kopf bis Fuß mit bronzener Farbe besprüht, die sich glichen wie ein Ei dem

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