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Die geheime Reise

Titel: Die geheime Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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und am wohlsten hab ich mich gefühlt, wenn ich auf Bäumen sitzen und mir Geschichten ausdenken konnte.«
    »Das mit den Bäumen hat Oma aber bestimmt nicht gefallen.«
    »Nein.« Jo verzog das Gesicht. »Das hat ihr ganz und gar nicht gefallen. Und sie hat es auch immer gemerkt, wenn ich mir draußen die Zöpfe aufgemacht und später wieder versucht habe sie zu flechten. Zum Glück hat mich dein Opa immer in Schutz genommen.«
    Wanja dachte an das Album, das sie bei ihrer Oma angeschaut hatte. Die kleine Jo mit den strengen Zöpfen, die nicht auf Locken schließen ließen. Und Jos geliebter Papili, Wanjas Opa, der tot war, aber über den man gerne sprach, wahrend Wanjas Vater lebte und totgeschwiegen wurde. Plötzlich bekam Wanja einen solchen Schrecken, dass sie sich an ihrem Croissant verschluckte und wild zu husten anfing.
    Jo sprang auf und schlug ihr auf den Rücken. »Was ist denn mit dir los?«
    Wanja hustete und hustete und fragte sich mit hochrotem Kopf, warum es ihr eigentlich jetzt erst bewusst wurde, dass sie ja nicht einmal sicher sein konnte, ob ihr Vater überhaupt noch lebte. Was, wenn er nicht mehr lebte? Was, wenn er gestorben war und Jo es wusste, aber nicht darüber sprechen wollte? Oder wenn er gestorben war und Jo es nicht wusste, weil sie keinen Kontakt mehr zu ihm hatte?
    »Meine Güte, Pumpelchen«, Jo ließ die Hände sinken. »Am dreizehnten Geburtstag erstickt man doch nicht. Und schon gar nicht, bevor man seine Geschenke aufgemacht hat. Hier …« Sie hielt Wanja den Orangensaft hin. »Trink mal einen Schluck. Du bist ja puterrot im Gesicht.«
    Wanja trank den Saft mit einem Zug leer und machte ein paar lange, tiefe Atemzüge. Dann zog sie den Kuchen zu sich heran, auf dem die dreizehn Kerzen brannten. Vor dem Frühstück hatte sie nur einen Wunsch gehabt. Jetzt waren es zwei. Ihr Vater sollte noch leben. Und Taro sollte nichts geschehen. Wanja legte ihre Hände um den Kuchen, schloss die Augen und verband die beiden Wünsche zu einem Satz, den sie nach innen sprach, lautlos und eindringlich, wie eine Beschwörung. Ich wünsche mir, dass alles gut wird.
    Sie holte tief Luft und blies die Kerzen aus, mit solch verzweifelter Kraft, als könnte sie alles Schlechte auf der Welt damit auslöschen. Als die dreizehn Kerzen erloschen waren, fühlte sie sich besser.
    Jo war zur Tür gegangen, weil es geklingelt hatte, und als sie zurück in die Küche kam, hatte sie einen dicken Stapel Post im Arm. Zwei Zeitungen, ein großes Paket und mehrere Briefe.
    »Von Oma«, sagte Jo und legte das Paket zu Wanja auf den Tisch. »Auf den Tag pünktlich, wie jedes Jahr.« Sie blätterte die Briefe durch, runzelte beim ersten die Stirn, lächelte beim zweiten und erstarrte beim dritten. Sie klappte ihn so hastig weg, als hätte sie sich daran die Finger verbrannt.
    »Was ist?« Wanja hob erstaunt den Kopf. »Schlechte Nachrichten?«
    »Nur eine Rechnung«, murmelte Jo und rauschte aus der Küche.
    Als sie wiederkam, erschien sie Wanja, als müsse sie sich mühsam zusammenreißen. Wanja runzelte die Stirn und sah ihre Mutter fragend an, aber Jo setzte ein Lächeln auf und legte Wanja die Hände auf die Schultern. »Was ist, Mutzel, willst du nicht deine Geschenke auspacken?«
    Als Erstes öffnete Wanja das Paket von Oma. Das rechteckige Geschenk war in rosa Papier mit kleinen Marienkäfern eingewickelt und klapperte, als Wanja es schüttelte. Vorne drauf war mit Tesafilm ein Briefumschlag befestigt und auf der Karte, die darin lag, waren ebenfalls Marienkäfer.
    Liebe Wanja, zu deinem dreizehnten Geburtstag viel Glück und Gesundheit. Kaufe dir doch für das Geld etwas Ordentliches zum Anziehen. Alles Liebe und viele Küsschen von deiner Omi, und Uri grüßt dich mit dem Finger.
    Wanja legte den 100-Euroschein zurück in den Briefumschlag, stellte die Karte auf den Wohnzimmertisch, den Jo mit Blumen und Kerzen dekoriert hatte, und öffnete das rechteckige Geschenk. Ein 1.000-teiliges Pferdepuzzle. Wanja lächelte. Sie dachte an das SchweizerAlpen-Puzzle. Dann an Tina. Und dann fiel ihr Sandesh wieder ein.
    »Nun mach doch nicht so ein Gesicht.« Jo gab ihr einen Stups. »Du kennst doch Oma mit ihrem Puzzletick. Und für die 100 Euro können wir doch wirklich was Schönes kaufen.«
    »Ja, ja.« Wanja schluckte. Langsam wünschte sie diese beklemmenden Gedanken, die sie ständig attackierten, zum Teufel. Sogar Frau Gordon hatte sie vor ein paar Tagen nach der Schule zu sich gerufen. »Alles in Ordnung bei dir,

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