Die geheime Reise
unheimliche alte Mann. Wie er plötzlich vor ihnen gestanden hatte, wie er aus dieser eigenartigen Höhle gekommen war. Einen besonderen Ort, hatte Taro sie genannt. Hatte Amon gewusst, was passieren würde? Vor ein paar Tagen hatte Wanja im Fernsehen einen Beitrag über Hellseher gesehen. Ich sehe was, was du nicht siehst. War Amon ein Hellseher? Wusste er, was es mit dem Vogel auf sich hatte? Und würde der Vogel wieder kommen, vielleicht sogar in der Zeit, in der Wanja und Mischa nicht im Bild waren? Würde er Taro wieder angreifen? Ihn vielleicht sogar … weiter wagte Wanja nicht zu denken, und als Schröder seinen dicken Kopf durch ihre Zimmertür schob, drehte sie sich auf die Seite, erleichtert über die Ablenkung.
»Hey, Dicker, wie siehst du denn aus?« Schröder maunzte und sprang zu ihr aufs Bett. Der rote Kater schien sich der roten Schleife, die er um den Hals trug, gar nicht bewusst zu sein. Laut schnurrend, kuschelte er sich in Wanjas Arm, presste seine nasse Nase an ihren Hals und rieb sie an ihrer Haut.
»Ach, du, mein alter, dicker Schröderbär, hat Jo dich wieder schick gemacht?« Wanja kraulte sein Fell, das längst nicht mehr so schön glänzte wie noch vor ein paar Jahren. Schröder war wirklich alt geworden. Alt und unvorsichtig. Vor ein paar Tagen wäre er fast von einem Auto überfahren worden, als er mit einer toten Maus spielte, die vor ihrem Haus auf der Straße lag.
Schröder brummte und presste seine nasse Nase noch fester an Wanjas Hals, und als jetzt auch Jo in einem orangefarbenen Pulli in der Tür stand, war Wanja fast glücklich.
»Alles Gute zum Geburtstag, mein allergeliebtester Pimpelpamp!«
Jo setzte sich auf Wanjas Bett, schob Schröder zur Seite und küsste ihre Tochter dreizehnmal auf die Nasenspitze.
»Ich bin stolz auf dich, mein riesiges Kind, und ich wünsche dir alles, alles Wunderbare für dein neues Lebensjahr. Wie fühlt man sich denn am ersten Tag der Teeny-Ära?«
»Jedenfalls nicht wie ein Pimpelpamp.« Wanja setzte sich im Bett auf und räkelte sich. Sie hatte gestern Abend kaum etwas gegessen und in ihrem Bauch war ein richtiges Loch. »Gibt’s Frühstück?«
Jo lächelte. »Und wie.«
Ein Kuchen mit dreizehn Kerzen stand auf dem Küchentisch, inmitten von aufgebackenen Croissants und Brötchen, Rührei, gebratenem Speck, frisch gepresstem Orangensaft, warmem Kakao, jeder Menge Aufschnitt, Erdnussbutter und Floras selbst gemachter Kirschkonfitüre. Sogar für Schröder war, wie an jedem Geburtstag, ein Platz gedeckt. Auf einem kleinen weißen Porzellanteller lag ein großes Stück Leberpastete, über das Schröder herfiel, als stünde er kurz vor dem Verhungern.
»Friss anständig, sonst fliegst du vom Tisch!«, sagte Wanja grinsend und zog Schröder am Nacken zurück nach unten, sodass er mit den Hinterbeinen auf dem Stuhl stand und die Vorderpfoten rechts und links neben den Teller legen musste. »Vielleicht sollte ich dich das nächste Mal mit zu Britta nehmen, dann kannst du meine Portion gesunder Leber essen.«
»Wie geht’s denn Familie Sander so?«, erkundigte sich Jo, nachdem sie Wanja eine Tasse Kakao und ein Glas Orangensaft eingeschenkt hatte.
»Gut, glaube ich.« Wanja nahm sich ein Croissant. »Nur Alina tut mir Leid. Manchmal glaube ich, dass sie jemand nach der Geburt im Krankenhaus vertauscht hat. Die passt echt überhaupt nicht in diese Familie, und wenn Brittas Mutter nicht da wäre, um sie vor dem Zahnarzt zu beschützen, wäre sie bestimmt längst ausgerissen.«
»Ist Herr Sander denn zum Essen immer da?« Jo wirkte überrascht.
»Normalerweise schon, seine Praxis ist doch gleich um die Ecke. Nur die letzten Male ist er nicht gekommen, weil er wohl zu tun hatte. Da ist Alina richtig aufgeblüht, aber Britta war genervt und Frau Sander irgendwie auch.«
»Du und Britta, ihr beiden habt nicht mehr wirklich viel gemeinsam, was?« Jo musterte Wanja nachdenklich und Wanja zuckte mit den Schultern. »Nee, nicht wirklich. Aber irgendwie hatten wir das nie. Ich meine, Britta hat was, das ich mag. Als mir vor ein paar Monaten so schlecht war in der Eisdiele zum Beispiel, da war sie plötzlich …« Wanja überlegte, als suchte sie nach dem richtigen Wort. »… da war sie plötzlich da . Aber dieses aufgedrehte Getue geht mir auf die Nerven.«
Jo musste lächeln. »Das passt auch nicht zu dir. Ich glaub, ich war früher genauso wie du. Ich konnte mit all diesem Mädchenkrempel auch nichts anfangen. Meine besten Freunde waren Jungs
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