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Die geheime Reise

Titel: Die geheime Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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sie niemand sonst erkannte, niemand außer Taro. Jemand, der so malen konnte, sah die Leute nicht nur an. Er sah in sie hinein.
    Wanja verglich das Bild innerlich mit dem Porträt, das ihr Vater von Jo gezeichnet hatte. Es hatte eine ähnliche Kraft, aber an die Porträts von Mischa reichte es nicht heran.
    Das nächste Bild war unfertig und in der Mitte durchgerissen. Im Grunde war es nur eine Bleistiftskizze, aber Wanja erkannte sie sofort. Es war der Vogel, der da in zwei Teilen vor ihr in der Mappe lag.
    »Es ging einfach nicht.« Mischas Stimme klang, als spräche er mehr zu sich selbst. »Ein paar Mal hab ich versucht, das Scheißviech zu zeichnen. Aber mich hat jedes Mal die Wut gepackt, eine verdammte, heftige Wut.«
    Wanja sah Mischa lange an. Schon auf dem Rückweg vom letzten Besuchstag hatte sie ihm von ihrem Gespräch mit Amon erzählt, aber die Worte des Alten kreisten immer weiter in ihrem Kopf und die Pausen in der Schule hatten nicht gereicht, um darüber zu sprechen. »Was hat Amon nur gemeint?«, fragte sie leise. »Dass die Antwort in uns selbst liegt. Bei mir ist es …«, sie starrte auf die Skizze, als versuchte sie dadurch, das Gefühl in sich wachzurufen, »bei mir ist es so eine Mischung aus Angst und Traurigkeit, wenn ich diesen Vogel sehe. Irgendwas würgt mich … innerlich, es ist schrecklich.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber was hat das alles mit meinem Vater zu tun? Warum hat mich Amon gefragt, wie es meinem Vater geht? Aus welchem Zusammenhang, das ergibt doch alles keinen Sinn!«
    Mischa zog die beiden Hälften des Vogelbildes auseinander und legte sie wieder zusammen. Wanja lief ein Schauder über den Rücken. Die Tatsache, dass der Vogel beim letzten Besuchstag nicht aufgetaucht war, beruhigte sie keineswegs. Im Gegenteil. Sie löste ihren Blick von der Skizze und stieß Mischa an. »Sag doch mal. Was denkst du?«
    Mischa zuckte mit den Achseln. »Ich denke, dass Amon Dinge weiß, die wir nicht wissen. Die Gesetze, vielleicht auch die Sache mit den unterschiedlichen Zeiten. All dieser rätselhafte Kram. Es würde mich nicht mal wundern, wenn der Alte den Hüter der Bilder kennt.«
    »Den Hüter der Bilder?« Wanja runzelte die Stirn, dann nickte sie plötzlich. » Der Hüter der Bilder zeigt die einzigartige Ausstellung Vaterbilder. Stimmt, den hatte ich ganz vergessen. Aber wer soll das sein, der Hüter der Bilder? Der Maler? Der müsste ja dann Jahrhunderte alt sein. Vielleicht ist es ja auch Amon selbst.« Wanja kratzte sich hinterm Ohr und schüttelte wieder den Kopf. »Quatsch. Dann müsste er in den anderen Bildern ja auch sein. Ach, ich steig da einfach nicht durch. Aber Recht hast du, der Alte weiß bestimmt Bescheid, auch über den Vogel, da gehe ich jede Wette ein.«
    Mischa nickte langsam und Wanja schob die Hälften des Vogelbildes wieder auseinander, um zu sehen, was dahinter lag. Es war das Porträt einer wunderschönen Frau. Wanja stockte. »Wer ist das?«
    Mischa blieb stumm, aber Wanja konnte sich die Antwort auf ihre Frage selbst geben. Die Frau mit der porzellanfeinen Haut, dem glänzend schwarzen Haar, dem scheuen Lächeln und den eisblauen Augen war dieselbe, die ihr vorhin die Tür geöffnet hatte.
    »Deine Mutter.«
    Immer noch Schweigen.
    »Was hat sie, Mischa? Warum sieht sie … warum sieht es hier so aus?«
    Mischas Augen wurden zu schmalen Schlitzen. »Weil die alte Schlampe den ganzen Tag im Bett rumliegt.«
    »Mischa!« Wanja war entsetzt. »Sie ist deine Mutter.«
    »Ach ja?« Mischas Stimme klirrte richtig. »Eine Mutter nennt man so was also. Komisch!« Er lachte laut auf. »Ich hab mir unter einer Mutter immer etwas anderes vorgestellt.«
    Wanja sah in die Augen der Frau, deren Bild auf Mischas Schoß lag. Die leuchtenden Augen. Das scheue Lächeln. Etwas Schneewittchenhaftes lag in ihrem Gesicht. Nur einen Prinzen hatte sie nicht zur Seite. Wanja merkte, dass sie sich plötzlich traurig fühlte. »Aber immer war sie nicht so, oder?«
    Mischa klappte die Mappe zu. »Keine Ahnung. Ich kenne sie nicht anders. Nicht viel anders jedenfalls. Vielleicht hat sie früher nicht ganz so viel gesoffen, das ist alles.«
    »Und woher hast du das Bild?«
    »Abgemalt. Von einem Foto.«
    »Und …« Wanja fühlte ihr Herz schlagen. »Und dein Vater? Ich …« Sie musste schlucken, um weiterzusprechen, weil ihr Mischa plötzlich wieder so furchtbar fremd vorkam. »Ich meine, wenn Amon mich nach meinem Vater fragt und wenn … und wenn er aber doch gleichzeitig

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