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Die geheime Reise

Titel: Die geheime Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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Aber er ist wie vom Erdboden verschluckt.«
Alle drei schwiegen jetzt. Taro hatte sich von Wanja abgewandt und drehte sich zum Fenster. Mischa lehnte an der Tür, die Hände in den Hosentaschen. Wanja stand wie verloren zwischen den beiden, den Kopf gesenkt. Ganz still war es im Wohnwagen, als wäre ihnen eine Gedenkminute auferlegt worden. Aber es war nichts Gutes, an das sie dachten. Was der Vogel da trieb, war wie eine grausige Vorbereitung. Nur worauf, das wussten sie nicht, Taro anscheinend am allerwenigsten. Und wenn es richtig war, was der Alte gesagt hatte, wenn die Antwort in Wanja und Mischa lag, dann würden sie vielleicht auch die Einzigen sein, die Schlimmeres verhindern konnte. Aber sie kannten die Antwort nicht.
»Los, ihr beiden«, brach Taro schließlich das Schweigen. »Wir gehen jetzt in die Manege und bereiten uns auf die Aufführung vor. Bald ist es so weit. Mischa, du probst heute mit Noaeh und O allein, wenn das für dich in Ordnung ist. Ihr habt den Balkon für euch, und wenn es Fragen gibt, bin ich da. Und wir beide, Wanja, wir gehen ans Trapez.«
Taro machte einen Schritt auf Wanja zu. Sein Gesicht war plötzlich wie immer. »Los jetzt. Lasst uns das Beste machen aus der Zeit, die wir zusammen haben. Sie ist kostbar, jede Minute davon.«
Er klatschte laut in die Hände, als wären die trüben Gedanken Tauben auf einem Marktplatz, die man einfach aufscheuchen konnte. Und es klappte.
Wanja ging hinter Taro aus dem Wohnwagen und sog die warme Luft ein. Sie konnten sowieso nichts tun, sie konnte die Antworten nicht erzwingen und Taro hatte Recht. Die Zeit, die sie zusammen hatten, war das Kostbarste, was sie besaß. Und sie würde sich diese Zeit nicht kaputtmachen lassen.
Aus der Manege kam ihnen Perun entgegen. »Viel Glück beim Proben«, rief er Wanja zu. Jetzt endlich spürte sie doch eine freudige Aufregung. Die Lust wurde in ihr wach. Die Lust, wieder dort oben auf dem Trapez zu sitzen und durch die Luft zu fliegen, wie … Wanja lachte laut auf. Ja, wie ein Vogel.
»Gut, dass isch euch noch einmal treffe.« Madame Nui war an einem langen, dünnen Seil von ihrem Spinnennetz herabgeglitten. »Isch brauche noch die Maße für eure Kostüme.« Mit gerunzelter Stirn fasste die hagere Dame Mischa an den Fingerspitzen, hob seine Arme seitlich an und trat einen Schritt nach hinten. Von oben bis unten musterte sie seinen schmalen Körper, wobei sie den Kopf leicht zu beiden Seiten wiegte.
»Bon«, sagte sie schließlich, ließ Mischas Finger wieder los und wandte sich an Taro.
»Macht die Kleine Gatas Katzennummer?«, fragte sie mit einer Kopfbewegung zu Wanja.
Taro schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe mir für uns beide etwas anderes ausgedacht. Nach meinem Solo geht Wanja ans Fliegertrapez.«
Wanja durchfuhr ein Schreck, aber Madame Nui nickte mit ihrem dünnen Lächeln und schlich dann langsam einmal um Wanja herum.
»Isch liebe es, meine Schäfchen mit den Kostümen zu überraschen«, sagte sie, als sie wieder vor ihr stand. »Des’alb gibt es bei mir keine Vorabsprache. Bei eurem nächsten Besuch kommt mein Kostümvorschlag, dann könnt ihr etwas dazu sagen. Also dann, au revoir, mes amours. Ach ja – und Taro, bitte sei so gut und wickele das Netz für mich auf, oui?«
Madame Nui warf den dreien eine Kusshand zu und verschwand hinter dem Vorhang.
»Fliegertrapez?« Wanja war plötzlich ganz durcheinander. Die freudige Aufregung war verschwunden, stattdessen machte sich ein unangenehmes Gefühl in ihrem Magen breit. Aber Taro war schon dabei, das Spinnennetz abzuhängen, und jetzt tauchte auch Gata in der Manege auf. Ihren Fuß zog sie immer noch nach.
»Du siehst ja aus, als müsstest du zum Zahnarzt«, sagte sie lachend zu Wanja. »Hat Taro dir die Fliegernummer angedroht? Mach dir keine Sorgen, das fliegende Trapez hat zwar eine spektakuläre Wirkung, ist aber viel leichter, als es aussieht. Erinnerst du dich an die drei Eigenschaften?«
»Mut, Instinkt und Leichtigkeit.« Zwei Arme umfassten Wanja von hinten und die Hände, die sich jetzt auf ihren Bauch legten, gehörten Taro. »Alles, was du brauchst, hast du – hier drin«, sagte er. Dann wanderte seine eine Hand zu Wanjas Stirn und sein Zeigefinger berührte die Stelle zwischen ihren Augenbrauen. »Und der Rest ist hier. Das richtige Zeitgefühl. In dir tickt die Uhr, in dir läutet der Wecker, wenn es so weit ist. Du wirst es ganz genau spüren, wenn du dir selbst nur vertraust.«
Wanja schloss die Augen und versuchte Taros

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