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Die geheime Reise

Titel: Die geheime Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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Wie denn das?« Taro lachte. »Fliegen. Nur ein einfacher Sprung. Gata reicht dir die Schaukel an, du hältst dich mit den Händen daran fest, springst ab und schwingst erst mal durch die Luft, dass du genügend Anschwung bekommst. Nimm deine Beine zur Hilfe und halte die Hände fest an der Stange. Ich rufe dir zu, wann du loslassen musst. Mehr ist nicht dabei. Du musst einfach nur loslassen, ich fange dich auf. Spür den Punkt zwischen deinen Augenbrauen.« Wanja schüttelte jetzt wild mit dem Kopf. War Taro verrückt geworden? Die Übungen beim ersten Mal waren ja schon ziemlich gewagt, aber das hier war Irrsinn! Sie hatte so etwas noch nie gemacht. Wie konnte Taro das von ihr erwarten? Wut machte sich breit in ihr.
»Hör, was Taro sagt.« Gata reichte ihr die Schaukel. »Am Trapez darf man nicht denken, Wanja. Denken macht hier oben alles kaputt. Tu einfach, was er sagt, und wenn du dir selber nicht vertraust, dann vertraue ihm. Taro weiß, was er tut, und er weiß, was er von dir verlangen kann.«
Mit diesen Worten ließ sich Gata wieder an der Strickleiter herabgleiten. Wanja stand alleine da.
Taro hing jetzt mit den Knien am Trapez, seine Arme baumelten nach unten, sein Gesicht war ihr zugewandt. Er klatschte in die Hände. »Los jetzt, Wanja. Spring ab.« Seine Stimme klang streng. Und Wanja platzte. Platzte, als ob ein Vulkan in ihr explodierte.
»Und was, wenn du mich nicht fängst, heh? Wenn ich hier runterstürze und falsch aufkomme und mir den Hals breche, was dann? Wieso soll ich dir vertrauen? Weißt du, was ich fühle, weißt du das? Du kennst mich doch gar nicht, du hast doch keine Ahnung, woher ich komme, du weißt doch gar nicht, wer ich bin! Loslassen, ein-fach loslassen, ja? Dass ich nicht lache! Und wie – wie ?« Wanjas Stimme überschlug sich. »Kannst du mir sagen, wie ich das machen soll, ja? Wie ich verdammt noch mal loslassen soll, wenn sich diese ätzenden Gedanken in mir festbeißen, all diese Fragen, auf die mir keiner eine Antwort gibt? Ich scheiß auf den Punkt zwischen meinen Augenbrauen, ich scheiß auf diesen ganzen Affenzirkus hier. Das ist doch alles nur Einbildung, das ist doch alles gar nicht echt. Du bist doch nur ein gottverdammtes Bild, mehr bist du doch nicht!«
Wanja hielt das Trapez noch immer in den Händen. Die Trommeln hatten aufgehört zu schlagen, Noaeh hatte aufgehört zu singen. Alles war still, nur Wanjas Herz raste, als wollte es ihr im Leibe zerspringen.
Taro hing an seiner Schaukel und sah sie an. Sah sie einfach nur an. Dann klatschte er noch einmal in die Hände und schrie sie an.
»SPRING!«
Und Wanja sprang. Hielt sich am Trapez fest und sprang ab. Dabei sackte etwas in ihr nach unten, es ging von ihrem Kopf aus und rutschte tief in ihren Bauch.
»Höher, Wanja«, rief Taro. »Nimm Anschwung mit den Beinen, ja, gut so, höher, noch höher, streck die Beine vor, schwing zurück, feste, noch einmal, ja, schwing, schwing so hoch es geht – gut, Wanja, lass die Hüften locker, atme, Wanja, atme – und jetzt achte auf mein Klatschen, wenn ich in die Hände klatsche, dann lass los. Lass dich einfach fallen. JETZT!«
Taro klatschte in die Hände und schwang ihr entgegen, Wanja war über ihm, sie kniff die Augen zu – und ließ los.
Sie fiel.
Und Taro fing sie auf.
Seine Hände griffen nach ihren Fesseln, umspannten sie und hielten sie fest. Ganz, ganz fest. Und dann kamen endlich die Tränen.
Wanja hing an Taros Armen, hoch oben in der Luft und weinte.

E IN  G EFÜHL VON  A BSCHIED
    Wanja wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als sie wieder mit Gata auf ihrem Trittbrett vor dem Trapez stand. Mischa und O trommelten. Noaeh sang. Es klang wunderschön und Wanja fühlte sich ganz leicht. Das Weinen war wie eine Erlösung gewesen. Die Fragen waren immer noch da und die Antworten immer noch nicht. Schröder war tot, Sandesh war verschwunden, der Vogel würde wieder kommen. All dessen war Wanja sich bewusst. Aber in diesem Moment hatte sie Ruhe, echte, tiefe Ruhe – und aus dieser Ruhe heraus war die Lust in ihr wieder wach geworden und mit ihr das Vertrauen in Taro.
    Nachdem O und Mischa sie vorhin heruntergelassen hatten, war Taro alle Übungen mit ihr an einem Bodenbarren durchgegangen, bis Wanja sich sicher genug fühlte in der Luft weiterzumachen.
    »Okay, noch einmal. Bist du so weit?« Taro ging an seiner Schaukel in Position und Wanja nickte. Sogar ihr Körper fühlte sich anders an, biegsamer, weicher, was vielleicht auch an den Aufwärmübungen

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