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Die geheime Reise

Titel: Die geheime Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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Worte in sich aufzunehmen. Aber irgendetwas sperrte sich plötzlich in ihr – etwas, das auch den letzten Funken Lust in Angst verwandelte. Wieso hatte sie überhaupt ihre Zustimmung gegeben, bei dieser Nummer mitzumachen? Das war doch Wahnsinn, sie hatte doch nicht die geringste Erfahrung am Trapez.
Über ihr ertönten Trommelschläge und eine Frauenstimme. Noaeh. Sie stand mit Mischa und O auf dem Balkon. Perun stand unten und warf ihr eine Kusshand zu, bevor er die Manege verließ.
Pati Tatü hatte sich auch verzogen, aber Sulana war noch da. Sie stand am anderen Ende der Manege und trug ein Trikot mit einem grünbraunen Schlangenmuster. Ihr zarter Körper schimmerte olivfarben und ihre kurz geschorenen Haare glänzten im Licht. Sulana drehte ihren Kopf nach links, nach rechts, nach vorne, nach hinten, als wollte sie ihre Nackenmuskulatur entspannen. Die Schlange lag zu ihren Füßen und glitt, als Sulanas Körper sanft zu kreisen begann, von unten an ihr empor, schlängelte sich um ihre Beine, ihren Bauch und ihre Brust, bis ihr Kopf Sulanas Hals berührte. Noch ein Stück, dann waren sie Mund an Mund, Sulana und die züngelnde Schlange. Vergeblich versuchte Wanja ihre Erinnerung wegzudrücken, den Moment, in dem die Schlange Sulana fast erwürgt hatte – aus Angst vor dem Vogel.
»Kannst du nicht noch einmal in die Hände klatschen?«, fragte Wanja Taro mit belegter Stimme. »Ganz fest, bitte?«
Taro lachte. Er hatte das Sicherheitsnetz gespannt und saß schon darauf. Mit einem Satz kam er auf dem Netz zum Stehen. Dann ging er in die Knie, stieß sich ab und sprang, landete wieder, stieß sich noch einmal ab, sprang höher, machte einen Salto, landete wieder auf den Füßen und klatschte in die Hände, so schallend laut, dass sich Sulana verärgert nach ihm umdrehte.
Taro beugte sich vor und streckte Wanja die Hand entgegen. »Jetzt gibt es nur noch das Trapez. Das Trapez und dich und mich. Bist du bereit?«
Wanja nickte, aber als Taro sie am Netz hochzog, war die Sperre noch immer in ihr. Ihre Lust dagegen hatte sich verkrochen, kaum dass sie vorhin wach geworden war.
Auch Gata ließ sich von Taro nach oben helfen, dort nahm Taro sie auf den Arm und trug sie zu der Strickleiter auf der linken Seite. Wanja stapfte mit wackeligen Knien hinterher. Die Leiter führte hoch hinauf zu einem schmalen Trittbrett. Es klemmte zwischen zwei an der Manegendecke befestigten Stangen und sah aus wie ein Fensterbrett ohne Fenster. Ein Stück davor hing die Trapezschaukel und auf der anderen Seite der Manege hing das zweite Trapez, zu dem ebenfalls eine Strickleiter hinaufführte.
Taro legte Wanja die Hand auf die Schulter. »Gata kommt kurz mit dir hoch.«
»Und du?« Wanja hörte ihr Herz klopfen.
Taro zeigte mit dem Kopf zum zweiten Trapez. »Ich bin da drüben.«
»Aber …« Wanja schüttelte ihre Locken. »Aber du musst mir doch erst mal zeigen, was ich machen muss.«
Doch da hatte Taro ihr schon den Rücken zugewandt und Wanja drehte sich hilflos zu Gata um.
»Taro hat seine eigenen Regeln, da nützt es nichts, ihm zu widersprechen. Am Trapez ist er der Boss.« Gata stupste Wanja leicht mit dem Ellenbogen in die Seite. »Aber du brauchst wirklich keine Angst zu haben. Wenn es einen Menschen gibt, dem du blind vertrauen kannst, dann ist es Taro.«
Wanja angelte nach ihrer Haarsträhne. »Okay«, presste sie hervor und stieg hinter Gata her die Strickleiter hoch. Ihren verletzten Fuß zog Gata hinter sich her, doch noch immer hatte sie die Leichtfüßigkeit einer Katze. Wanja blieb weit hinter ihr zurück. Als sie schließlich oben angekommen war, wagte Wanja kaum nach unten zu schauen. Zehn, zwölf Meter waren sie bestimmt über dem Netz und die Höhe erschien Wanja plötzlich viel furchterregender als beim ersten Mal. Ihr fiel ein, wie sie als Siebenjährige vom Zehnmeterbrett gesprungen war. Ein Knirps zwischen Halbstarken, Jo stand unten am Beckenrand, ein kleiner Punkt, und als Wanja sprang, hörte sie ihre Mutter schreien. Wanja hatte auch geschrien, aus purem Vergnügen.
Wo lag jetzt also das Problem? Selbst wenn sie von hier oben stürzte, würde sie im Netz landen, warum hörte dieses verdammte Herzklopfen nicht auf? Warum konnte sie das Vertrauen in Taro plötzlich nicht mehr spüren? Er hatte sich drüben bereits auf die Schaukel geschwungen. Mit dem Rücken zu Wanja saß er auf der Stange und drehte ihr seinen Oberkörper zu. »Also dann«, rief er, »komm rüber zu mir.« Wanja riss die Augen auf. »Rüber?

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