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Die geheime Sammlung

Die geheime Sammlung

Titel: Die geheime Sammlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polly Shulman
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einer Reihe gegenüber dem Bilderregal.
    Ich griff nach dem kleinsten Kessel. Ich wollte ihn nicht gleich benutzen, aber ich wollte wenigstens sehen, ob er sich schlimmstenfalls zweckentfremden ließe. Da fiel mir Anjalis Warnung ein. Sie hatte schon Angst davor, dass ich die Objekte berühren könnte. Was würde sie da erst sagen, wenn ich eines davon als Nachttopf benutzte?
    Aber vielleicht wäre das ja gar nicht so unangemessen, dachte ich schlecht gelaunt. Der Urin einer verängstigten Jungfrau, das klang doch nach einer Zutat, die Hexen in ihren Kesseln brauen würden.
    Ein dumpfes Geräusch aus dem Eingangsbereich ließ mich aufspringen.
    Als es sich wiederholte, erkannte ich es: Ein Pneu fiel in den Empfangsbereich der GS .
    Aber natürlich! Ich hätte mich selbst treten können, weil ich nicht früher draufgekommen war. Ich konnte Anjali einen Pneu schicken und sie bitten, mich hier herauszuholen.
    Anjali, Hilfe! Ich bin eingeschlossen
, schrieb ich auf ein leeres Blatt Papier. Ich führte das nicht genauer aus, falls die Nachricht doch in die falschen Hände geriet. Ich schrieb
Anjali Rao, Hauptuntersuchungsraum
, heftete den Zettel an eine leere Rohrpostkapsel, öffnete die Poströhre und stieß sie hinein. Der Pneu verschwand nach kurzem Kampf wie eine Maus im Rachen einer Schlange.
    Nachdem ich endlich etwas unternommen hatte, fühlte ich mich besser. Ich ging durch die Schrankreihen und schaute hinein, ohne etwas zu berühren. Es gab Messer und Kämme, Spitzenkleider und Spazierstöcke, Lampen und Flaschen. Und alle möglichen Arten von Schalen: Eierschalen, Nussschalen und Muschelschalen. Eine Vitrine war nur mit Bällen gefüllt, die meisten aus Gold, aber einige auch aus Holz, Gummi und aus rotem, schwarzem oder blauem Stein. Es gab Kleider, die mit Kupfer, Silber und Gold, und Kleider, die mit glänzenden Steinen besetzt waren. Es gab Kleider aus Fischschuppen, aus Federn und aus Tierhäuten, die ich nicht zuordnen konnte. Es gab viele Objekte in dreifacher Ausführung, eines aus Kupfer, eines aus Silber, eines aus Gold. Oder eines aus Messing, eines aus Silber und eines aus Gold. Oder eines aus Silber, eines aus Gold und eines mit Diamanten besetzt. Es gab winzige Käfige. Einen finsteren Ofen, der so groß war wie der größte Speiseaufzug, groß genug für ein Kind.
    Wenn hier unten bloß einer der Speiseaufzüge gewesen wäre. Vielleicht hätte ich mich in einen von ihnen hineinquetschen können. Aber die Aufzüge befanden sich auf der anderen Seite der verschlossenen Tür.
    Endlich fiel ein Pneu in den Korb. Rasch zog ich den Zettel heraus:
Ich habe vergessen, dir den Ausgangsreim zu sagen. Es tut mir so leid. Er geht wie der Eingangsreim, nur rückwärts. Du musst ihn auch rückwärts singen
, stand da. »Recht es ist so, rein mich lasst: Brecht Schalen, Türen öffnet. Nuss die knack, Schlüssel den dreh. Verschluss ist zu, raus ist raus.« Aber es nützte nichts. Wie sehr ich mich auch anstrengte, ich bekam die Melodie nicht hin.
    Ich schickte einen weiteren Pneu an Anjali:
Es klappt nicht. Ich bin total unmusikalisch.
    Okay. Schick den Schlüssel hoch. Ich komme runter und lass dich raus, so schnell ich kann
, antwortete sie.
    Ich packte die Haarspange sorgfältig ein, klebte sie in einen Pneu und beförderte ihn in die Röhre. Der Unterdruck saugte ihn mit einem Pfeifen an, das sich wie ein erleichterter Seufzer anhörte.
    Verängstigt und gelangweilt schaute ich mich ein bisschen um, weil ich mich ablenken wollte. Da sah ich aus den Augenwinkeln, wie sich etwas hinter mir bewegte. Ich fuhr herum und erstarrte.
    Was immer es war, erstarrte ebenfalls.
    Zu meiner Erleichterung sah ich mich selbst: mein Ebenbild in einem großen Spiegel, der am Bilderregal hing. Sah ich wirklich so abgehärmt und grimmig aus?
    Ich streckte mir selbst die Zunge raus. »Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?«, sagte ich.
    Mein Spiegelbild bewegte die Lippen, und ich hörte meine Stimme, die antwortete:
    »Wenn du mich fragst, Eliza Rew,
    dann pass mal auf: Das bist nicht du.«
    Ich halte mich für ziemlich helle. Ich bin in New York City aufgewachsen, da lernt man so einiges. Ich bin kein Mädchen, das glaubt, dass die Wirklichkeit wie ein Märchen ist. Aber als ich den Spiegel sprechen hörte, da wusste ich, dass ich mir das nicht eingebildet hatte. Das war Zauberei. Das wusste ich ebenso sicher, wie man weiß, wo oben ist. Oder wie man die Stimme seiner Mutter erkennt. Oder

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