Die geheime Sammlung
woandershin. »Wirklich? Gibt es im Grimm-Sammelsurium einen permanenten Liebestrank?«
»Interessante Frage. Es gibt viele Diskussionen in der wissenschaftlichen Gemeinde, ob eine künstlich erzeugte Liebe ewig halten kann. Oder auch eine natürliche Liebe, was das betrifft. Jegliche sogenannte natürliche Liebe, vorausgesetzt, dass überhaupt irgendeine Liebe natürlich ist.«
Mir fiel auf, dass das keine Antwort auf meine Frage war. Mir fiel außerdem auf, dass er den Schein nicht unterschrieb. »Was ist nun mit dem Pfand?«, fragte ich nervös.
»Mmm.« Er hatte es anscheinend nicht eilig. »Lass mich dir erklären, wie das funktioniert. Hier im Repositorium halten wir die Gegenstände sicher hinter Schloss und Riegel. In der Welt da draußen ist der Ausleihende für sie verantwortlich. Wenn du den Schein unterschreibst, verpflichtest du dich damit, den Gegenstand nicht zum Bösen zu verwenden. Du verpflichtest dich ebenso, ihn heil und gebrauchsfähig zur festgesetzten Stunde zurückzugeben. Ansonsten verlierst du das Anrecht auf dein Pfand. Es bleibt dann hier bei uns und du bekommst es nicht zurück. Verstehst du?«
»Selbstverständlich.«
»Ich will nur sicherstellen, dass du verstehst, wie ernst diese Sache ist. Es ist nicht immer einfach, die Gegenstände zu schützen. Unglücklicherweise hat nicht jeder, der Teil der Gemeinschaft der Wissenden ist, lautere Absichten. Da draußen gibt es einen Dieb, von dem Vogel ganz zu schweigen. Es ist möglich, dass jemand versucht, den Kamm an sich zu bringen. Er könnte dich zu einer Zielscheibe machen, und du bist für seine Sicherheit zuständig.«
Das hörte sich ernst an. War es das wert, fragte ich mich, nur für schönes Haar? Aber Doc Rust hatte gesagt, ich solle mit etwas Kleinem anfangen. Wenn ich nicht einmal den Mut aufbrachte, den Kamm einer Meerjungfrau auszuleihen, wie sollte ich mich dann jemals an etwas Großes herantrauen wie fliegende Schuhe oder einen Tarnumhang?
»Wollen Sie damit sagen, ich sollte das nicht tun?«
»Auf gar keinen Fall. Wir vertrauen dir. Du hast den Test bestanden, und ich glaube, dass du bereit bist. Und du hast dir für den Anfang etwas angemessen Kleines ausgesucht. Ich wollte nur sicherstellen, dass du dir im Klaren darüber bist, was du hier tust.«
»Ich verstehe. Ja, ich bin bereit.«
»In Ordnung. Wo habe ich denn bloß dieses
Kuduo
hingelegt?« Er schaute in mehrere Schreibtischschubladen, stand auf, suchte die Bücherregale ab, ging zu einem Wandschrank und spähte hinein. »Liegt es hinter deinem Stuhl?«
»Weiß ich nicht. Wie sieht es denn aus?«
»Es ist aufwendig verziert. Mit einer Puffotter und einem Nashornvogel auf dem Deckel.«
Ich wusste nicht, wie eine Puffotter oder ein Nashornvogel aussahen, aber da war nichts hinter dem Stuhl. »Ich glaube nicht«, sagte ich.
»Oh, hier ist es.« Er zeigte oben auf einen Bücherschrank. »Sei so gut und schieb den Stuhl mal herüber.« Ich hielt den Stuhl fest, während Dr.Rust mir von oben ein schweres bronze-schwarzes Ding herunterreichte. Es war grob zylindrisch und hatte ungefähr die Größe einer Melone. Und eine Puffotter war anscheinend eine Schlange, und ein Nashornvogel, nun ja, ein Vogel.
Ich stellte den Gegenstand auf den Schreibtisch. »Danke«, sagte er, kletterte mühsam vom Stuhl herunter und öffnete den Deckel.
Ich spähte hinein. Offenbar lagen Dinge darin, aber ich konnte nicht recht erkennen, was es war. Als ich versuchte, genauer hinzuschauen, wurde mir ganz schwummrig. »Was ist
das
denn?«, fragte ich.
»Das ist ein
Kuduo
, ein Zeremoniengefäß der Akan. Traditionellerweise bewahrte man darin die weltlichen und geistigen Besitztümer des Häuptlings auf.«
»Stammt das aus dem Grimm-Sammelsurium?«, fragte ich.
»Nein – es wurde von einer befreundeten Familie an das Repositorium ausgeliehen.«
»So wie auch Anjalis Familie über Zauberei verfügt?«, fragte ich. Dachte ich da an meine eigene Familie, wurde ich leicht neidisch. »Kommen alle Pagen aus magischen Familien – alle Pagen des Grimm-Sammelsuriums, meine ich?«
»Nicht alle, aber einige schon, ja.«
»Zu wem gehört das
Kuduo
denn dann?«
Er sah aus, als ob es ihm ein bisschen unangenehm wäre, antwortete aber: »Marc Merritts Onkel. Er hat es an das Repositorium zur Aufbewahrung der Pfänder ausgeliehen. Nun, welches Pfand würdest du gern hinterlegen?«
»Ich weiß nicht recht«, sagte ich zweifelnd. »Wie viel sollte es denn so sein? Ich habe ungefähr
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