Die geheime Waffe
dem
Augenblick, in dem er sie nicht mehr benötigte, aus dem Verkehr zu ziehen. Nun aber richtete er sein Augenmerk wieder auf den Bildschirm. Die Kamera war noch immer auf den König gerichtet, der die streitenden Journalisten mit einer Geste des Abscheus bedachte.
»Seien Sie ruhig!«, fuhr er sie an. »Sie verhöhnen mit Ihrem Geschrei die Menschen, die hier gestorben sind!«
Der Ausbruch des Königs zeigte Wirkung. Albert II. winkte je einem Vertreter der flämischen und der wallonischen Medien, näher zu kommen, und blickte mit entschlossener Miene in die Kamera. »Dieses Verbrechen hier in Lauw ist nicht weniger abscheulich als der Überfall auf den Güterzug bei Remicourt. Unschuldige Menschen mussten sterben, weil andere ihre selbstsüchtigen Ziele mit aller Macht verfolgen und dabei die Würde, die Unversehrtheit und das Leben ihrer Mitbürger mit Füßen treten. Es ist an der Zeit, dass die schweigende Mehrheit in Belgien aufwacht und diesen Mördern und ihren Gesinnungsgenossen ein lautes und vernehmliches Halt entgegenruft. Die Mehrheit der Flamen und die meisten Wallonen wollen ungeachtet ihres Stolzes auf ihre Regionen Belgier bleiben. Dies muss mit aller Leidenschaft zum Ausdruck gebracht werden, damit jene kleine Gruppe, die unsere Heimat in zwei Teile zerbrechen will, endlich erkennt, dass ihre Untaten ihnen nur die Verachtung ihrer Mitbürger einbringen und überdies die unnachsichtige Verfolgung durch die Polizeikräfte beider Landesteile nach sich zieht!«
Die Stimme des Königs wurde während seiner kurzen Ansprache immer lauter, bis er die Fassung verlor. Zuletzt musste Prinz Laurent seinen Vater stützen, während Königin Paola beruhigend auf ihn einsprach.
Auch die Reporter wirkten betroffen. Selten zuvor hatte Albert II. so deutliche Worte gefunden. Der Gedanke, dass jene, die ihre Opfer offensichtlich wahllos ausgesucht und getötet hatten, auch sie umbringen könnten, schien die Männer und
Frauen, die für die belgischen Medien und die Weltpresse berichteten, nachdenklich zu stimmen.
Die Journalistin einer japanischen Fernsehanstalt stellte eine Frage, die die Menschen ebenfalls berührte. »Eure Majestät, was geschieht mit dem kleinen Mädchen, das den Überfall auf dieses Haus als Einzige überlebt hat?«
Diesmal übernahm nicht der König, sondern seine Gemahlin die Antwort. »Mein Sohn Laurent hat zusammen mit seiner Frau beschlossen, die Kleine ebenso zu adoptieren wie den Sohn des Bahnbediensteten, der durch den Mord an seinem Vater zur Waise geworden ist.«
»Sentimentales Geschwätz! Mehr bringen sie nicht mehr zustande«, höhnte Sedersen und stellte den Fernseher ab.
Im Gegensatz zu ihm sah Zwengel so aus, als hätte er in eine Zitrone gebissen. »Sie hätten diese Leute besser nicht umbringen lassen, Sedersen. Ich habe auf einmal ein schlechtes Gefühl dabei.«
»Wir waren uns doch einig, den Hass zwischen den Volksgruppen so weit zu steigern, dass nur noch eine Trennung möglich ist«, gab Sedersen verärgert zurück.
»Das schon! Aber mir gefällt die Ansprache des Königs nicht. Mit der könnte er etliche, die wir bereits für uns gewonnen haben, wieder auf seine Seite ziehen. Denken Sie nur an Gaston van Houdebrinck! Der Kerl wird alles unternehmen, um die flämischen Wirtschaftsbosse in seinem Sinn zu beeinflussen. Da können weder Sie noch ich noch Giselle Vanderburg etwas ausrichten.«
Sedersen wandte sich ab. »Wen interessiert schon das Geschwätz dieses alten, sentimentalen Narren!«
»Wir sind hier nicht in Deutschland, sondern in Belgien. Das Wort des Königs kann hier mehr bewegen als unsere gesamte Propaganda. Er ist das lebende Symbol der Einheit des Landes.« Zwengel, der bislang Sedersens Plänen vorbehaltlos zugestimmt hatte, fragte sich nun, ob es ein Fehler gewesen
war, sich mit diesem Mann zusammenzutun. Sedersen war kein Mensch mit Idealen, sondern nur auf seinen Profit aus. Für die Hilfe, die der Deutsche ihm hatte zukommen lassen, würden er und seine Bewegung einen hohen Preis bezahlen müssen. Dabei war es noch keineswegs sicher, ob er es bis zum Ministerpräsidenten von Flandern bringen würde. Es gab genug Rivalen in den national gesinnten Kreisen, und die Anführer jener Parteien, die sich bislang nicht offen für eine Sezession ausgesprochen hatten, würden nicht von einem Tag auf den anderen jeden Einfluss verlieren.
Zornig darüber, dass er gerade dieser Leute wegen auf Sedersens Unterstützung angewiesen war, schaltete er den
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