Die geheime Waffe
eigentlich auch nichts gegen Ihre Brüder. Dietrich von Tarow war mein Kompanieführer bei meiner Grundausbildung. Können Sie sich vorstellen, wie das ist, wenn man frisch zur Bundeswehr gekommen ist und dann so einem Mann in die Klauen gerät? Hauptmann von Tarow kann alles, weiß alles und ist in allem zehnmal besser als jeder andere.«
»Eine gute Charakterisierung von Dietrichs Selbstverständnis. Er ist mit Leib und Leben Soldat und will, dass seine Männer die Besten sind, weil er sagt, dass nur die Besten eine Chance haben.«
»Das könnte sogar stimmen. Wir haben damals mehrere Wettbewerbe gegen andere Ausbildungskompanien gewonnen. Ihr Bruder hat uns dafür aber auch so gezwiebelt, dass
uns das Wasser im Arsch kochte. Hm … entschuldigen Sie die deftige Bemerkung.«
Mit einem Mal empfand Torsten die Zeit, die er unter Dietrich von Tarows Kommando verbracht hatte, gar nicht mehr als so schrecklich. »Er war ein ausgezeichneter Soldat. Wir sind zwar von ihm geschunden worden, aber er hat uns nicht absichtlich gequält, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Ich glaube, ich weiß es. Aber mir ist auch klar, dass so viel Selbstgefälligkeit, wie Dietrich sie ausstrahlt, nicht leicht zu ertragen ist. Das ist ja auch Michaels Problem. Was auch immer er tut, er wird stets an seinem älteren Bruder gemessen. So etwas macht auf die Dauer bitter und ungerecht. Daher übertreibt er es manchmal. Sie hatten ja schon mit ihm zu tun.«
»Oh ja! Es hat uns beiden Beulen und ihm zusätzlich eine Disziplinarstrafe eingebracht, weil er den Streit vom Zaun gebrochen hat.« Torsten schüttelte sich, als er sich an die unangenehme Angelegenheit erinnerte, und lenkte dann das Gespräch auf ein Thema, das ihn im Grunde interessierte, seit er Henriette zum ersten Mal gesehen hatte. »Sie sind ganz anders als Ihre Brüder.«
»Sie meinen vom Aussehen her? Das habe ich von meinen Eltern, und ich denke nicht daran, mich deswegen zu schämen«, antwortete Henriette scharf.
»Warum sollten Sie sich schämen? Sie sind eine hübsche, junge Frau mit einer Figur und einem Gesicht, um die Sie viele Frauen beneiden dürften.«
»Sie verstehen es, selbst noch in der Scheiße … äh, in schwierigen Situationen Komplimente zu machen. Aber ich sehe Ihnen an, dass Sie sich trotzdem fragen, wie ein General wie Heinrich von Tarow nach zwei baumlangen Söhnen zu einer Tochter wie mir gekommen ist.«
»Ist diese Neugier nicht verständlich?«, fragte Torsten.
Henriette zuckte mit den Achseln. »Vielleicht ja, vielleicht nein. Es kommt immer darauf an, wie jemand die Sache sieht.«
»Ich würde es gerne von Ihnen erfahren, um diese Sache, wie Sie sagen, nicht von einer falschen Warte aus zu sehen.« Torsten merkte, dass er sich tatsächlich dafür interessierte. Henriette von Tarow war mutig und zäh. Selbst jetzt gab sie noch nicht auf, sondern suchte genau wie er nach einem Ausweg aus diesem Schlamassel.
»Da wir ohnehin nichts anderes zu tun haben, kann ich es Ihnen ja erzählen. Vor etwa fünfundzwanzig Jahren – Dietrich war gerade zehn Jahre alt und Michael sechs – hatten mein Vater und dessen erste Frau einen schweren Unfall. Ein Lkw raste an einem Stauende in ihren Wagen. Dietrichs und Michaels Mutter starb, und mein Vater wurde so schwer verletzt, dass er monatelang in der Klinik bleiben musste.
Als er schließlich entlassen wurde, konnte er nur mit Krücken gehen und fühlte sich als Krüppel. Er muss damals unerträglich gewesen sein, denn er hat innerhalb weniger Wochen drei Haushälterinnen und mehrere Krankenpflegerinnen, die sich um ihn kümmern sollten, zum Teufel gejagt.
Seine Verwandten wussten sich zuletzt nicht mehr zu helfen. Da kam eine seiner Kusinen auf den Gedanken, eine Krankenschwester aus Asien zu holen, da sie annahm, diese würde mehr Geduld mit dem Kranken aufbringen als eine Europäerin.«
»… und das war Ihre Mutter.«
Henriette bejahte. »Mama war nach Deutschland gekommen, um Geld für ihren Bruder zu verdienen, der Medizin studieren sollte. Die ersten Wochen müssen fürchterlich für sie gewesen sein. Da war der schon recht verwahrloste Haushalt mit den beiden Kindern, und gleichzeitig musste sie mit Papa auskommen, dessen schlechte Laune selbst einen Engel in die Flucht geschlagen hätte. Aber sie hat es geschafft. Schon bald mochten meine Brüder sie, und Papa begann langsam, wieder Lebensmut zu gewinnen. Irgendwann kamen sie und er sich nahe. Meine Eltern haben geheiratet, und fünf Monate
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