Die geheimen Jahre
hinein.
Afrika, Mama und Papa und das Baby wurden in einem bestimmten Fach ihrer Erinnerung abgelegt. So war es leichter. Am Morgen hatte sie Unterricht bei Tante Hilly, und am Nachmittag erkundete sie Drakesden. Manchmal ging sie zu FuÃ, manchmal lieh sie sich das Pony des Pfarrers und ritt. Die Dorfkinder starrten sie immer noch an, vor allem wenn sie den scharlachfarbenen Rock trug.
In der Kirche fiel sie unangenehm auf, weil sie das Gebäude als erste verlieÃ, direkt hinter dem Pfarrer. Alle anderen blieben ruhig stehen: Vorn in den Bänken hinter dem Chorgestühl war ein Scharren zu hören, das war alles. Da sie unbedingt das dunkle, feuchte Gebäude verlassen wollte, nahm sie ihr Gebetbuch und rannte nach drauÃen. Sie verstand den Ausdruck auf Mr. Fanshawes Gesicht nicht, als sie sich von ihm verabschiedete, aber später erklärte ihr Tante Rose, daà die Blythes die Kirche immer als erste verlieÃen. Am nächsten Sonntag bemerkte Thomasine, daà Mr. Fanshawe hauptsächlich die Blythes anlächelte und am wenigsten diejenigen, die die Kirche als letzte verlieÃen. Sie, Tante Hilly und Tante Rose befanden sich ungefähr in der Mitte.
Sie stellte allen Fragen: Mrs. Carter, die den Laden führte, den Farmpächtern, den Männern und Frauen, die auf den Feldern arbeiteten. Sie diskutierte mit Mr. Naylor, der die Chalk Farm betrieb, über die Probleme des Weizenanbaus bei zu geringer Bewässerung, und er lachte und erklärte ihr, daà es in den Fens zuviel davon gab. Sie half Tante Rose im Gemüsegarten, grub aus der dunklen, krümeligen Erde winzige neue Kartoffeln aus, trug im Hühnerstall warme braune Eier zusammen und legte sie vorsichtig in einen Strohkorb.
Eines Tages ritt sie am Deich entlang, durchquerte ein mit Lorbeer und Dorngestrüpp bewachsenes Stück Land und kam am Rand einer Wiese heraus. Als sie aufblickte, sah sie Drakesden Abbey, das herrschaftliche Haus der Blythes. Es war riesig, gröÃer als das Missionshospital. Dann blickte sie erneut auf und sah all die Leute, die sie anstarrten: Lady Blythe in einem flieÃenden weiÃen Kleid und einem groÃen flachen Hut, einen dunkelhaarigen Jungen, einen blonden Jungen und ein Mädchen. Verlegen murmelte sie ein paar entschuldigende Worte und drehte das Pony um. Zurück auf dem Deich traf sie Daniel Gillory, der in glucksendes Gelächter ausbrach, als sie ihm erzählte, wie sie die Blythes beim Tee im Garten der Abbey überrascht hatte.
Daniel erklärte ihr, was es mit den Deichen und Gräben, den Windmühlen und Pumpen auf sich hatte. Daniel war der älteste Sohn des Schmieds. Thomasine hatte versucht, Jack Gillory zu fragen, wie er Hufeisen anbrachte, aber er war kein guter Gesprächspartner. Daniel hingegen schon. Daniel sei ein besonders intelligenter Junge, sagte Tante Hilly. Er hatte gerade ein Stipendium fürs Gymnasium in Ely bekommen. Tante Hilly lieh ihm oft Bücher. Daniel war ein paar Monate älter als Thomasine und hatte blondes, leicht lockiges Haar und Augen, die zwischen Grün und HaselnuÃbraun changierten. Eines Nachmittags, als sie über die Felder ritten, während sein Vater im Otter, dem Dorfpub, war, erklärte Daniel ihr, wie Wasser vom Land in die Deiche und aus den Deichen ins Meer gepumpt wurde. Daà die Deiche und die StraÃen hoch über den Feldern lagen, weil das entwässerte Moor abgesunken war. Daà die ganzen Fens vor langer Zeit nur Marschen und See, eine endlose Wasserlandschaft gewesen waren. Die Bewohner der Fens hätten damals Schwimmflossen gehabt, fügte Daniel mit ernstem Blick aus seinen grüngoldenen Augen hinzu. Dann lachte er lauthals, als er seinen Scherz eingestand, und jagte sie im Galopp den Weg entlang, während die Hufe ihrer geliehenen Ponys den Staub aufwirbelten.
Langsam gewöhnte sie sich an die wechselnden Jahreszeiten. An die Hitze und die Kälte, den Wind und die Zugluft. An die Schneeflocken, die wie weiÃe Blüten aus einem bleiernen Himmel schwebten, und an die Staubwirbel, die sie kurz an jenes andere Land erinnerten.
Zum Tee bei den Dockerills trug sie den scharlachroten Rock und die alte weiÃe Bluse ihrer Mutter, die zu groà für sie war. Thomasine mochte die Dockerills: In dem Cottage mit den drei Zimmern herrschte immer lautes und quirliges Treiben.
Mrs. Dockerill bewunderte ihren Rock und ihre Glasperlen. Ein paar der zehn kleinen
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