Die geheimen Jahre
gehustet â¦Â«
Mrs. Dockerill brachte ihr eine Tasse Tee und sagte jetzt freundlicher: »Hier, trinken Sie das, Liebe.« Das Kosewort lieà ihre Tränen fast überquellen, aber sie griff nach dem Becher und nahm einen Schluck von dem heiÃen, süÃen Tee.
»Sie hat Lungenentzündung bekommen«, erklärte Mrs. Dockerill. »Niemand hätte mehr helfen können. Nicht mal ein Doktor.«
Thomasine schneuzte sich. All ihre Anstrengungen während der letzten Wochen waren nutzlos und vergeblich gewesen. »Wenn ich früher einen Arzt für sie geholt hätte â¦Â«, flüsterte sie. »Ich hatte das Geld nicht â¦Â«
Sie beendete den Satz nicht. Einen Moment lang blieb sie sitzen und starrte auf die gescheuerte Tischplatte. Dann trank sie noch einen Schluck Tee und schneuzte sich erneut. Sie wuÃte, daà Mrs. Dockerill sie anstarrte und nicht begriff, daà sie, Lady Thomasine Blythe, keine unerschöpflichen Geldreserven besaÃ, die sie nach ihrem Gutdünken ausgeben konnte. Sie holte tief Luft und richtete sich auf.
»Ich bin gekommen, um Sie zu fragen, ob Sie vielleicht wissen, was ich noch tun könnte. Ich habe Decken, Lebensmittel und andere Dinge gebracht und Joe Carter gebeten, ein paar Torfballen auszuteilen, aber â¦Â« Erneut konnte sie ihren Satz nicht beenden. Es war nicht genug â es wäre nie genug. Die Erinnerung an das winzige Baby in seiner Pappschachtel verfolgte sie.
Aber Mrs. Dockerill erwiderte eisig: »Nun â Sie könnten Ihren Gatten bitten, die Löhne der Arbeiter nicht zu kürzen. Und die Mieten nicht raufzusetzen.« Worauf sich Thomasine umdrehte und die Frau mit weit aufgerissenen Augen anstarrte.
Leicht errötend, ergriff Mrs. Dockerill ihre Nudelrolle. »Es tut mir leid, Euer Ladyschaft. Das hätte ich nicht sagen dürfen.«
»Davon wuÃte ich nichts.« Thomasine schüttelte ungläubig den Kopf. »Nicholas hat die Löhne der Männer gekürzt â¦?«
Mrs. Dockerill sah sie lange an und nickte dann. »Vor ein paar Monaten. Wenn man Miete bezahlt, ein paar Sachen im Lebensmittelladen gekauft und der Mann ein oder zwei Gläser Bier im Otter getrunken hat â¦Â« Sie zuckte die Achseln. »Na, dann bleibt nicht mehr viel übrig.«
Thomasine stellte die halb ausgetrunkene Teetasse ab und erhob sich. Sie spürte, wie Zorn in ihr aufstieg, ein Zorn, den sie kaum zügeln konnte.
»Ich werde mit Nicholas sprechen«, versprach sie und wandte sich zum Gehen.
Mrs. Dockerill öffnete ihr die Tür. Mit ihrer mehligen Hand berührte sie Thomasines Arm, als sie hinaustrat: Eine liebevolle Geste aus einer Zeit, als sie noch Freundinnen waren, dachte Thomasine traurig.
»Machen Sie sich keine allzu groÃen Sorgen, Liebe. Der Sommer ist bald da, und in ein oder zwei Wochen hört das Fieber ganz von allein auf. Und Sie sollten auf sich selbst achten â es dauert doch nicht mehr lange, bis das Baby kommt, oder?«
Mit Mühe brachten Thomasines tränenverschleierte Augen ein Lächeln zustande. »Noch vier Wochen«, antwortete sie und sah an sich hinab. »Ich komme mir wie ein Elefant vor.«
Früher hätte sie Mrs. Dockerill beim Abschied umarmt. Jetzt nicht mehr. Sie ging zu ihrem Wagen, fuhr durchs Dorf und den Hügel der Insel hinauf.
Auf der Suche nach Nicholas lief sie durch den Garten und durchs ganze Haus und fand ihn schlieÃlich in einem der Badezimmer, wo er sich die Hände wusch.
Als sie wiederholte, was Mrs. Dockerill gesagt hatte, wandte er sich bloà ab und murmelte: »Ich hab dir doch gesagt, daà unsere Geldmittel knapp sind. Max meinte, ich müÃte Einsparungen machen.«
»Beim Lebensunterhalt der Leute?« Auf der Rückfahrt zur Abbey war ihr Zorn nicht verraucht. »Um Himmels willen, Nick â wenn ich an das Essen denke, das wir an Weihnachten weggeworfen haben â¦Â«
Er antwortete nicht, sondern lieà wieder Wasser ins Becken laufen und begann erneut, seine Hände zu schrubben.
»Du hättest es mir sagen können! Ich war eine solche Närrin â da runterzugehen und zu glauben, ich könnte ihnen helfen, während wir die ganze Zeit ihre Lage nur verschlimmert haben!«
Er lieà weiteres Wasser einlaufen. »Ich hab dir gesagt, daà es sinnlos ist, Thomasine. Ich hab dir doch gesagt, daà du nichts
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