Die geheimen Jahre
Dorfbewohner tolerierten die Einmischungen der Blythes, tolerierten die Damen, die in ihren Häusern herumschnüffelten und taktlose Bemerkungen über die Aufzucht ihrer Kinder machten, nur deswegen, weil die Blythes Almosen gaben. Die Blythes verschenkten ihre alten Laken und Decken, wenn diese nicht mehr geflickt werden konnten, und gaben Suppen- und Brotrationen aus, wenn die Winter besonders hart waren.
Das Cottage war kalt und feucht, der Boden noch immer schwarz von der jüngsten Ãberschwemmung. Das offene Feuer schien keine Wärme zu spenden. Vorsichtig legte Thomasine das Baby in die Schachtel zurück.
»Ich komme morgen wieder, Mrs. Gotobed. Ich habe ein paar Schals und ein Nachthemd, die Evelina gebrauchen könnte.«
Die Schränke des Kinderzimmers in der Abbey waren von Ãberzügen, Laken, Quilts, Schals, Windeln und Babykleidung überfüllt. Alles hatte früher Gerald, Nicholas, Marjorie und Lally gehört. Thomasine packte die wärmsten Sachen in eine Einkaufstasche, nahm zwei Flaschen Johannisbeersirup aus dem Wirtschaftsraum und kehrte damit am nächsten Nachmittag zum Cottage der Gotobeds zurück.
Diesmal husteten drei andere kleine Kinder, die alle auf einer Strohmatratze zusammenpfercht lagen, im Verein mit Evelina in ihrer Pappschachtel. Es roch nach Feuchtigkeit und Torfrauch, aber das Feuer schien das kleine Haus weder zu wärmen noch zu erhellen. Thomasine half beim Umziehen des Babys. Die Wangen des Kindes waren feuerrot und sein Atem immer noch rasselnd. Auch wenn es ihm nicht gutgeht, dachte Thomasine verzweifelt, ist es jetzt zumindest warm eingepackt.
Nachdem sie das Cottage verlassen hatte, kehrte sie nicht zur Abbey zurück. Es war noch nicht Teezeit, und auÃerdem muÃte sie noch ein Dutzend anderer Häuser besuchen. Durch den Schlamm watend, ging sie von Tür zu Tür, und mit jeder schmutzigen Behausung, die sie aufsuchte, wuchs ihr EntschluÃ.
11
AM ABEND, ZWISCHEN Tee und Dinner, sprach Thomasine mit Nicholas. Ãber seinen Schreibtisch gebeugt, zeichnete er mit gerunzelter Stirn komplizierte Pläne, sah aber auf, als sie eintrat, und lächelte sie an.
»Schau mal, ich hab den ganzen Nachmittag mit den Installateuren gesprochen und glaube jetzt, daà alles fertig ist.«
Er zeigte ihr die Installationspläne für die Warmwasserleitungen und erzählte ihr von dem neuen Brunnen, den Zuund Ableitungssystemen.
»Stell dir vor, Thomasine, du kannst baden, wann immer du willst, und muÃt das Dienstpersonal nicht mehr bitten, Wasserkrüge durchs Haus zu schleppen. Ist das nicht herrlich?«
»Herrlich«, stimmte sie zu, konnte seine Begeisterung aber nicht richtig teilen. Zu deutlich standen ihr noch die Bilder vor Augen, die sie heute nachmittag gesehen hatte. »Nicholas â ich muà dich um einen Gefallen bitten. Könntest du mir ein biÃchen Geld geben?«
Es war ihr schrecklich unangenehm, und sie fand ihre Bitte geradezu demütigend. Sie verdiente kein Geld und hatte keine Kontrolle über die Ausgaben von Drakesden Abbey. Nicholas bezahlte die Rechnungen und besprach alles mit seinem Vermögensverwalter.
»Soviel du willst, Liebling«, sagte er leichthin. »Wofür ist es? Für Kleider? Eigentlich wollte ich mit dir nach Paris fahren, wenn das Baby auf der Welt ist. Wir haben uns beide eine Belohnung verdient, findest du nicht auch?«
Thomasine schüttelte den Kopf. »Ich brauche nicht noch mehr Kleider, Nick. Es ist nicht für mich. Im Dorf gibt es eine Menge kranker Leute, und keiner von ihnen kann sich einen Arzt leisten. Sie brauchen Medikamente, Heizmaterial und ordentliches Essen. Ich hab ein paar Decken und andere Kleinigkeiten verteilt, aber das reicht nicht.«
Nicholas schraubte die Kappe seines Füllfederhalters ab. »Im Moment sind wir ein biÃchen knapp mit Geld, Thomasine.«
Sie starrte ihn an. Daà er ihre Bitte abschlagen könnte, war ihr nicht in den Sinn gekommen. Er war immer äuÃerst groÃzügig gewesen.
»Aber du hast doch gerade gesagt, wir würden nach Paris fahren, ich könnte neue Kleider kaufen â¦Â«
»Du selbst kannst immer alles von mir haben, Thomasine«, antwortete er eilig und sah zu ihr auf. »Das habe ich dir versprochen. Und dieses Versprechen halte ich.«
Sie hatte ihm die Lage nicht richtig erklärt, dachte sie. Sie strich das Haar zurück und begann von
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