Die geheimen Jahre
neuem.
»Das Neugeborene der Gotobeds ist sehr krank, Nicholas. Es hat Fieber, und sein rasselnder Atem gefällt mir nicht. AuÃerdem sind drei weitere Kinder von Mrs. Gotobed krank â¦Â«
»Die Gotobeds «, unterbrach er sie und schüttelte den Kopf. Er sah verärgert aus. »Das war doch immer schon ein mieses Pack. Leuten wie den Gotobeds ist nicht zu helfen.«
»Man kann ihnen helfen, einen Arzt zu bezahlen, du kannst ihnen Torf zum Heizen geben â¦Â«
»Und wo soll das enden, Thomasine?« Nicholas machte eine Geste der Hilflosigkeit. »Wo soll das denn enden? Willst du ihre gesamte Kinderschar füttern und einkleiden? Willst du die Hausmädchen der Abbey zu ihnen rüberschicken, um eine abscheuliche, von Flöhen wimmelnde Hütte auszumisten?«
Wütend antwortete sie: »Es ist deine Hütte, Nicholas. Die Gotobeds wohnen in einem gepachteten Cottage.«
»Das tun die Dockerills auch. Aber sie schaffen es, es sauber, warm und in Ordnung zu halten.«
Einen Moment lang schwieg sie. Es stimmte, was Nicholas sagte: Es lagen Welten zwischen dem Haus der Gotobeds und dem der Dockerills. Das Haus der Dockerills war zwar klein und spartanisch, aber sauber .
»Mrs. Dockerill ist eine groÃe Ausnahme«, fuhr Thomasine hartnäckig fort. »Sie ist gesünder als Mrs. Gotobed â intelligenter, eine bessere Wirtschafterin â¦Â«
»Genau.« Nicholas legte ein Lineal auf das Papier und begann wieder zu zeichnen. »Du muÃt erst noch lernen, Thomasine, daà es einen Unterschied zwischen würdigen und unwürdigen Armen gibt. Die Dockerills gehören zur einen und die Gotobeds zur anderen Sorte.«
Einen Augenblick lang haÃte sie ihn. »Das klingt â hart.«
Er zuckte die Achseln. »Vielleicht. Aber Leute wie die Gotobeds kann man nicht ändern. Sie helfen sich selbst nicht, verstehst du.«
Sie sah ihm eine Weile beim Zeichnen zu, wie er säuberliche schwarze Linien zog, kleine Bemerkungen an den Rand schrieb. Dann sagte sie langsam: »Was meinst du damit?«
»Nun.« Er stieà ein verächtliches Lachen aus. »Jedes Jahr ein Kind. So kommt man doch auf keinen grünen Zweig, oder?«
Wie so oft in letzter Zeit verlor sie die Geduld.
»Soll ich Mrs. Gotobed nach London in Dr. Stopes Klinik schicken, Nicholas? Sollte ich das tun?«
Er wurde rot. »Ich meinte â Enthaltsamkeit. Sie könnten ein biÃchen mehr Enthaltsamkeit praktizieren, nicht wahr?«
Sie funkelten sich über den groÃen Eichentisch hinweg wütend an. »AuÃerdem«, fügte Nicholas hinzu, »haben sie so viele Kinder, daà sie den Verlust von einem wahrscheinlich gar nicht bemerken würden. Sie sind nicht wie ihre Vorgesetzten, Thomasine â sie besitzen nicht die gleiche Empfindungsfähigkeit. Ihr Leben ist so reduziert, daà sie eigentlich mehr Tieren gleichen.«
Sie muÃte sich abwenden, weil sie Angst hatte, etwas Unverzeihliches zu sagen. Ihr Blick schweifte schnell im Raum umher und nahm die alten, glänzenden Möbel, die Gemälde, die Bücher â all die Insignien eines jahrhundertewährenden Wohlstands â wahr.
Kalt erwiderte sie: »Du hörst dich an wie deine Mutter, Nicholas. Ihr wollt Herrschaftsrechte ausüben, aber an den bestehenden Verhältnissen soll sich nichts ändern.«
Er wurde blaÃ. In der anschlieÃenden Stille glaubte sie, seine Anspannung fast körperlich spüren zu können.
»Und du hörst dich an wie Daniel Gillory«, antwortete er schlieÃlich. »Er schreibt jetzt irgendwelchen Unsinn für die Lokalzeitung. Hast du das gewuÃt, Thomasine? Er wiegelt alle auf und versucht, sie zum Sozialismus zu bekehren.« Der Hohn in seiner Stimme war unverkennbar. »Hast du den Blödsinn gelesen?«
Einen Moment lang starrten sie sich nur an. Sie befanden sich im selben Raum, dachte Thomasine betrübt, aber sie hätten genausogut Tausende von Meilen voneinander entfernt sein können.
»Mach dich nicht lächerlich, Nick«, flüsterte sie. »Du hast eine Verantwortung, das ist alles.«
Sie sah ihn zusammenzucken. Er blickte auf seine Pläne hinab und begann wieder zu zeichnen. Aber seine Hand zitterte, und in der Mitte des weiÃen Papiers bildete sich ein kleiner schwarzer Klecks. Sofort griff er nach dem Löschpapier und begann zu kratzen, bis der Fleck entfernt
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