Die geheimen Jahre
Körper.
»Unwichtig? Sie sind sehr wichtig, Fay. Sehr wichtig für mich.«
Er hatte die Worte ausgesprochen, die sie hören wollte, aber irgendwie war sie sich nicht sicher, ob er sie auch ernst meinte. Vielleicht kannte sie ihn noch nicht gut genug, um seinen Tonfall richtig einzuschätzen. Erneut fröstelte sie.
»Ist Ihnen kalt?« Er nahm ihre Hand und streifte ihren Handschuh ab. Dann hob er ihre Finger an seine Wange und küÃte schlieÃlich ihren Handrücken. Ganz langsam und vorsichtig preÃte er die Lippen auf ihre Fingerknöchel, auf ihre Handfläche. Ihr Herz pochte, sie vermochte kaum zu atmen.
Dann zog er sie an sich und küÃte ihr Gesicht, ihre Stirn, ihre Augen, ihre Wangen. Und ihren Mund. Seine Zunge öffnete ihre Lippen, und sie spürte, daà sie sich an ihn preÃte, als wollte sie die Wärme und Kraft aus seinem Körper saugen. Sie wuÃte, daà sie sich von ihm losreiÃen, die Sache beenden sollte, bevor sie etwas wirklich Schlimmes tat. Fremde küÃten sich â bei Partys, zum Willkommen und beim Abschied. Es war nichts Unerlaubtes, sich zu küssen. Sie hatte nichts Falsches getan.
Aber seine Hände knöpften ihr Kleid auf, und er streichelte und küÃte ihre Brüste. Ein sehr kleiner Teil von ihr hielt sich zurück, blieb beobachtend. Und erwartete von ihr, ihn wegzustoÃen, ihn aufzuhalten, bevor er zu weit ging â wie sie es vor ihrer Heirat mit Daniel immer gemacht hatte. Unfähig zu fassen, daà sie diesem Mann erlaubte, in dieser schmutzigen kleine Scheune mit ihr zu schlafen, stand sie auf und preÃte sich an die Wand.
Aber sie schrie nicht, hielt ihn nicht zurück. Bald beobachtete sie sich auch nicht mehr. Bald war sie vollkommen verloren, wie ertrinkend, voller Sehnsucht nach ihm.
In dem kleinen Abstellraum neben der Bibliothek stellte Thomasine einen Tisch und Regale für ihre Akten und Rechnungsbücher auf. Der Raum war ungeheizt und feucht, aber er gehörte ihr. Zunehmend trat sie ihre Stellung als Gastgeberin und Herrin von Drakesden Abbey an Lady Blythe ab. Es geschah ganz mühelos, fast so, als wäre das Haus selbst froh, wieder in alte Gewohnheiten zurückzufallen, anzuerkennen, daà Lady Blythe diese Dinge einfach besser verstand. Mit einem Seufzer der Erleichterung übergab sich das groÃe Haus wieder seiner rechtmäÃigen Herrin, und Thomasine dachte manchmal, daà Lady Blythe genau dies immer angestrebt hatte. Sie versuchte nicht einmal mehr, die Zustimmung ihrer Schwiegermutter zu gewinnen, sondern kämpfte darum, die Stellung zu halten, zu der sie sich berufen fühlte.
Sie arbeitete, um das Erbe ihres Sohnes zu erhalten. William hatte Nicholasâ dunkles Haar und feine Züge, und die Farbe seiner Augen tendierte allmählich immer mehr zum Seegrün der ihren. Sie hängte Nicholasâ alte Karte von Drakesden an die Wand, so daà sie jedesmal, wenn sie vom Schreibtisch aufblickte, Williams Zukunft vor sich sah. Oft, wenn sie Mühe hatte, Nicholasâ schlechtgeführte Bücher zu enträtseln, blickte sie auf und vergegenwärtigte sich, wofür sie arbeitete.
Doch während die Wochen und Monate verstrichen, wuÃte sie, daà sie nicht allein für William arbeitete, sondern auch für sich. Sie fing damit an, die Rechnungen zu bezahlen, die Nicholasâ nicht einmal anzusehen gewagt hatte, aber dann begann sich ihr Tätigkeitsbereich langsam auszuweiten. Was anfangs nur vorsichtige Erinnerungshilfen für Nicholas waren (Pottersâ Field sollte gepflügt, die Gräben im Norden der Insel müssen gesäubert werden), wurden, auf Nicholasâ Bitte, Anordnungen, die direkt an den Vorarbeiter gingen. Sie bat Joe Carter um Rat und traf mit zunehmender Sicherheit Entscheidungen. Im selben MaÃ, in dem ihr Interesse für das Land zunahm, nahm Nicholasâ Interesse ab. Obwohl sie manchmal, wenn etwas schiefging â etwa wenn sie die Saat zu früh ausbringen lieÃ, so daà die Frühjahrsflut die wertvollen Setzlinge fortwusch â, den Versuch aufgeben und eine Anzeige für einen Verwalter in die Zeitung setzen wollte. Den konnten sie sich allerdings gar nicht leisten, und so schaffte sie es, die Zähne zusammenzubeiÃen und weiterzumachen. Eines Tages, als sie mit Joe Carter an ihrer Seite an einem Feld entlangritt, machte sie eine auÃerordentliche Entdeckung: Sie begann, das
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