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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Land zu lieben. Obwohl die Abbey noch immer lähmend auf sie wirkte, obwohl ihre Ehe ein leidenschaftsloses Nebeneinander geworden war, haßte sie Drakesden nicht mehr. Sie war ein Teil davon geworden: Sie kämpfte um seinen Erhalt, genau wie es andere vor ihr getan hatten.
    Sie sah alle Aufzeichnungen über die Güter durch, die sie finden konnte. Geschäftsbücher, Lohnlisten, Rechnungen, Briefe, Karten und Pflanzkalender. Was gesät werden sollte, und wann es gesät werden sollte. Welche Früchte auf welchem Feld am besten gediehen. Aufzeichnungen über Grabensäuberungen, Landrodungen, Deichkonstruktionen, über den lebenswichtigen, endlosen Prozeß der Entwässerung des fortwährend bedrohten Lands: zuerst mittels Windmühlen, dann mit Dampf- und jetzt mit Dieselpumpen. Bei der Arbeit bemerkte sie, wie der schleichende Prozeß der Vernachlässigung für Drakesden den Untergang bedeutet hätte. Sie konnte nicht genau sagen, wann die Vernachlässigung eingesetzt hatte, erkannte aber, daß sie während des Krieges zugenommen hatte und in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre schlimmer geworden war. Schwieriges Land wie das von Drakesden überlebte eine Vernachlässigung nicht. Wieder und wieder ritt Thomasine über die Felder, inspizierte jeden Graben und jeden Weg. Der Zustand des Landes bereitete ihr Sorge, und oft lag sie nachts wach, stellte endlose Rechnungen an und wußte, daß die notwendigen Ausgaben zur Sicherung der Güter bei weitem die Einnahmen überstiegen.
    Ständig bemühte sie sich um die Anerkennung der Männer, denen sie Befehle gab: Männer, die sie als Kind gekannt, Männer, die nie zuvor für eine Frau gearbeitet hatten. Sie lernte, sich sorgfältig zu kleiden, so daß sie attraktiv, aber nicht aufgetakelt, praktisch, aber nicht männlich wirkte. Sie wußte, auf welch schmalem Grat sie sich bewegte, wie leicht sie sich nichts als Hohn und Spott einhandeln konnte. Sie nahm sich Zeit, mit den Dorfbewohnern zu reden, sich ihre Sorgen und Nöte anzuhören. Ihr war bewußt, daß die Landwirtschaft der Gegend noch immer der Vergangenheit verhaftet war, noch immer hing man veralteten Arbeitsweisen an und erzeugte Produkte, die niemand kaufen wollte.
    Nicholas zog sich von den Aufgaben zurück, die ihn immer schon gelangweilt hatten, und beschäftigte sich wieder mit solchen, die ihm Spaß machten: seinen geliebten Maschinen, seinem Auto, seinem Elektrogenerator, seinen Installationen. Er begann, ein Radio zu bauen, ein kompliziertes Gerät aus Röhren und Batterien, an dem er endlos herumbastelte und triumphierte, wenn endlich geisterhafte Stimmen aus den riesigen Lautsprechern drangen. An den Wochenenden kamen seine Londoner Freunde zu Besuch: die Monkfields, Julian und Belle, Ettie und Boy. Sie lenkten ihn für eine Weile von seinen Schwierigkeiten ab und boten eine willkommene Zerstreuung.
    Dennoch wußte auch Nicholas, daß er und Thomasine sich auseinanderentwickelt hatten, daß sie zwar im selben Haus, aber in verschiedenen Welten lebten. Ihre Zufriedenheit und der Stolz über ihre Arbeit entgingen ihm nicht. Ebensowenig die kleinen Verbesserungen, die langsame, aber stetige Bewahrung vor dem Ruin. Sein Groll darüber entstammte seinem Gefühl, versagt zu haben. Er war ein Blythe, nicht Thomasine, und dennoch hatte er versagt. Jetzt führte eine Frau erfolgreich aus, was die Aufgabe eines Mannes gewesen wäre. All seine alten Ängste, kein ganzer Mann zu sein, bestätigten sich. Thomasine hatte so wenig Zeit für ihn. Ständig war sie unterwegs, ständig beschäftigt. Nicholas, der Gesellschaft brauchte, verbrachte immer mehr Zeit mit seiner Mutter. Lady Blythe, die zwar die Führung des Hauses wieder übernommen hatte, neidete Thomasine die Kontrolle über das Land. »Das ist es, was sie immer schon wollte«, sagte sie und streichelte das dunkle Haar ihres Sohnes. Die Ängste seiner Mutter vor Veränderung spiegelten die seinen wider. Im Gespräch mit ihr fragte sich Nicholas allmählich, ob Thomasine ihn nicht bewußt aus seiner Funktion gedrängt hatte.

13
    ZUR FEIER DER Entdeckung des Grabs von Tutanchamun durch Howard Carter Anfang 1923 wurde der Mayfair-Nachtklub im ägyptischen Stil dekoriert: Hieroglyphen an den Wänden, Grabbeigaben aus Papiermaché entlang der Tanzfläche und ein riesiger Sarkophag mit schwarzumrandeten,

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