Die geheimen Jahre
starren Augen in dem aufgemalten Gesicht, der gefährlich schwankend am Eingang zur Damentoilette stand.
Lally hatte sich passend in sandfarbene Seide mit aufgestickten Skarabäen gekleidet. Ihr Begleiter, der sie mit einem flüchtigen Kuà auf die Wange begrüÃte, trug wehende weiÃe Gewänder über seinem Abendanzug.
»Ach, wie tutanchamunesk, Liebling.«
»Rudolph Valentino wäre schrecklich eifersüchtig auf dich, Hugo.«
Sie saà am Tisch, während er einen Drink besorgte. Sie war ziemlich stolz auf Hugo: Die Beziehung hatte länger gehalten als die meisten anderen. Der Raum war heià und überfüllt. Hüstelnd suchte Lally nach einem Taschentuch und einer Zigarette in ihrer Tasche.
Als er mit dem Drink zurückkam, hatte die Band zu spielen begonnen, und sie muÃten schreien, um sich zu verständigen.
»Immer noch Schnupfen, Liebling?«
Lally schneuzte sich die Nase und steckte eine Zigarette in die Spitze. »Fast vorbei. Aber er war ziemlich hartnäckig.«
Gleich nach Weihnachten hatte sie sich erkältet und die Erkältung nicht losbekommen. Den ganzen Winter und Frühlingsanfang hindurch muÃte sie husten und schniefen und fühlte sich inzwischen erschöpft und ausgelaugt.
»Vielleicht solltest du ein biÃchen kürzertreten«, meinte Hugo. »Ein paarmal früher ins Bett gehen, zum Beispiel.«
»Liebling« , sagte Lally spöttisch, eher aus der Macht der Gewohnheit als aus tatsächlicher Empfindung, aber auch wegen des puren Vergnügens, ihn erröten zu sehen. Er gehörte nicht zu ihrer üblichen Sorte von Männern, dachte sie. Er war hübsch, aber schrecklich englisch. Für gewöhnlich zog sie ein biÃchen exotischere Typen vor. Aber er war reich, und vor kurzem war ihr der Gedanke gekommen, daà es gar keine so schlechte Idee wäre, Hugo Grafton-Page zu heiraten. Sie litt ständig unter Geldnot, und zudem herrschte nach dem Krieg ein deprimierender Mangel an Männern.
Sie zündete ihre Zigarette an und berührte seinen Arm. »Hast du über Amerika nachgedacht?«
Er schüttelte den Kopf. »Das geht wahrscheinlich nicht, Liebste. Ich kann die Familiengüter nicht so lange im Stich lassen. Vielleicht ein, zwei Wochen nach Frankreich â¦Â«
Sie runzelte die Stirn. »Aber du hast doch gesagt ⦠Ich möchte nach Mexiko und nach Hollywood.«
»Nichts zu machen, fürchte ich, meine Liebe. Tut mir leid.«
Sie zog den Rauch ein und begann wieder zu husten. Erst als er ihren Wunsch abschlug, bemerkte sie, wie sehr sie sich danach sehnte, aus England fortzukommen. Als der Hustenreiz schlieÃlich nachlieÃ, sagte sie: »Du siehst ziemlich lächerlich aus in diesem Aufzug, weiÃt du. Als hättest du vergessen, dich nach dem Besuch im türkischen Bad umzuziehen.«
Die Band hatte eine Pause eingelegt. Lally sah den Anflug von Ãrger in Hugos Augen. Er stand auf. »Und du siehst aus, wie du immer aussiehst. Wie eine Katze. Wie Bastet, die Katzengöttin.«
Er schlenderte davon, und sie blieb mit ihrem Drink, ihrer Zigarette und hundert langweiligen Leuten zurück, die sich zum Narren machten, um die Zeit totzuschlagen. Sie wuÃte, daà sie nicht lange allein bleiben würde, weil Mädchen wie sie nie lange allein blieben. Mädchen, die alles mitmachten. Sie versuchte, sich darüber klarzuwerden, was zwischen ihr und Hugo schiefgelaufen war, aber das war zu kompliziert und zu einfach zugleich. Um von einem Mann begehrt zu werden, muÃte man ihm (natürlich stillschweigend) anbieten, mit ihm zu schlafen, doch wenn man mit ihm schlief, verachtete er einen. Hugo würde irgendeine dicke blonde Debütantin heiraten, die seiner Mama gefiel. Normalerweise dachte Lally kaum an die Zukunft, doch mit einemmal beschlichen sie schreckliche Vorstellungen von Alter, Verfall und Einsamkeit, die ihr Angst einjagten.
Sie begann, sich ziemlich schlecht zu fühlen, was sie auf den Zorn schob, der in ihr brodelte. Sie ging nicht nach Hause, sondern blieb, wo sie war, trank stetig weiter und tanzte gelegentlich. Jedesmal wenn sie hustete, spürte sie einen stechenden Schmerz in ihrer Brust. Einmal sah sie an sich hinab, auf ihre Arme, die wie Stöcke aus dem blaÃgoldenen Stoff ihres Kleids ragten, und dachte verwundert: Das bin nicht ich, das ist nicht Lally Blythe . Lally Blythe war pummelig, fast schon
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