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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Was für eine Überraschung.«
    Er lächelte, und einen Moment lang glaubte Fay, in den schwerlidrigen Augen Spott zu erkennen. Seine Zähne waren klein, spitz und weiß. Er stand am Torpfosten und sah sie mit diesem verwirrenden Blick an.
    Vor Aufregung verhaspelte sich Fay: »Ich bin gerade mit meinen Einkäufen fertig – gerade wollte ich eine Tasse Tee trinken gehen. In die hübsche kleine Teestube, in die Sie mich geführt haben … gleich um die Ecke, nicht wahr?«
    Â»Ihre Einkaufstasche ist aber leer, Mrs. Gillory«, erwiderte er.
    Sie sah ihn an und errötete. Hochmütig erwiderte sie: »Ich konnte nicht finden, was ich wollte.«
    Â»Wirklich nicht? Ich hätte gedacht, Sie seien sehr geschickt, wenn es darum geht, zu kriegen, was Sie wollen, Mrs. Gillory. Sie scheinen mir eine äußerst kompetente Person zu sein.«
    Sie war nicht ganz überzeugt, ob dies als Kompliment gemeint war. Sie bemühte sich, ihn zu überrumpeln. »Ich gehe jedenfalls in die Teestube. Es wird schon spät.«
    Einen schrecklichen Moment lang glaubte sie, er würde sie allein fortgehen lassen. Aber plötzlich erwiderte er: »Ich wollte gerade eine kleine Ausfahrt machen, Mrs. Gillory. Hätten Sie nicht Lust, mich zu begleiten?«
    Als sie durch Ely fuhren, wußte Fay, daß sie eine Grenze überschritten hatte. Zwischen dieser Ausfahrt und der Tasse Tee letzte Woche bestand ein Unterschied. Sie sagte sich, daß sie sich nur ein bißchen Spaß erlaube, daß nichts Schlimmes dabei sei. Daß ihr Daniel nichts übelnehmen konnte, wovon er nichts wußte. Daß sie keinerlei Absichten hatte weiterzugehen.
    Sie ließen Ely hinter sich und fuhren nach Norden. Sie sprachen kaum, denn der Morris Oxford war laut und ratternd. Schließlich bremste Dr. Lawrence und hielt am Straßenrand an. Kahl und weit lag die Landschaft vor ihnen. In der Ferne erhob sich ein hoher Wall, der sich endlos nach beiden Seiten erstreckte und das Land in zwei Hälften teilte. Windmühlen sprenkelten den Horizont.
    Er sagte: »Ich gehe bald nach Edinburgh zurück. Am Samstag, um genau zu sein.«
    Fay starrte ihn an. Eine ungeheure Enttäuschung befiel sie, die Angst, daß ihr Leben viel zu bald wieder in den alten, trostlosen Trott fallen würde. »Für immer?« fragte sie flüsternd.
    Er lachte. »Nein, nein. Für etwa sechs Wochen. Ich muß meine Eltern besuchen und meine Arbeit abliefern.« Flüchtig berührten seine Finger die ihren. »Werden Sie mich vermissen?«
    Sie wußte, daß sie ihm einen Korb geben sollte. Sie vermissen, warum sollte ich Sie vermissen? Aber die Berührung seiner Hand war erschreckend und wunderbar zugleich, und sie murmelte: »Ja.«
    Â»Gut.«
    Er sagte ihr nicht, daß er sie auch vermissen werde, wie sie gehofft hatte. Statt dessen stieg er aus und öffnete die Tür für sie.
    Â»Wohin gehen wir?«
    Er hatte ihren Arm genommen. Mit dem Kopf machte er eine Bewegung in Richtung des Horizonts. »Zu der Scheune. Von dort hat man einen herrlichen Blick über die Landschaft.«
    Es war schlammig, wie immer in den Fens, und Fays Schuhe waren bald schwarz und mit Erde verklumpt. Der Wind peitschte ihr das Haar ins Gesicht, und obwohl erst Frühherbst war, fühlte sich die Luft eisig und winterlich an. Dr. Lawrence half ihr, die Holzleiter in den Schuppen hinaufzusteigen.
    Â»Sehen Sie«, sagte er sanft.
    Sie blickte aus dem kleinen Fenster. Jetzt konnte sie den breiten Wasserstreifen erkennen, der den riesigen Deich ausfüllte und sich endlos bis zum Meer erstreckte.
    Â»Das ist der Hundred Foot Drain. Wenn Sie genau hinsehen, können Sie den Old Bedford River dahinter erkennen. Im Winter läßt man das Schwemmland dazwischen überfluten, um das umliegende Gelände zu schützen. Es sieht … großartig aus.«
    Einen Augenblick lang war sie ärgerlich auf ihn. Er hörte sich genauso an wie Daniel, der sich endlos über diese schreckliche Landschaft mit ihren Sümpfen, Gräben und ihrem schrecklichen Wetter verbreiten konnte. Außerdem hatte die große Wasserfläche für sie etwas Bedrohliches an sich.
    Â»Ich hasse es. Es gibt mir das Gefühl – unwichtig zu sein.«
    Der amüsierte Ausdruck war in seine Augen zurückgekehrt. Sie war sich des engen Raums bewußt, in dem sie standen, der Nähe ihrer

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