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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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und den blauen Himmel hinaus. Sie drei – sie, Daniel und Nicholas – waren wie ein Dreigestirn gewesen, das auseinanderstrebte und sich wieder anzog. Lally befand sich immer außerhalb davon, hatte nie richtig dazugehört.
    Â»Wahrscheinlich war’s das nicht«, sagte sie zögernd. »Du mußt dich … einsam gefühlt haben.«
    Sie sah auf die kleine Gestalt im Bett hinab. Lally wirkte so zerbrechlich, sowohl äußerlich wie ihrem Wesen nach, und dennoch hatte sie solches Unheil angerichtet. Ihr Haß auf Thomasine und ihre übersteigerte Verehrung für Nicholas und Daniel hatten mit der Kindheit nicht aufgehört, sondern weiterbestanden und Thomasines, Fays, Daniels und Nicholas’ Leben zerstört. Lallys Zerstörungswut richtete sich aber nicht nur gegen andere, sondern auch gegen sich selbst: Die wilden Partys, die vielen Liebhaber, die rastlose Gier nach immer neuen und größeren Vergnügungen hatten immer auch ihre Schattenseiten gehabt. Lally hatte nach der Liebe gesucht, die ihr in ihrer Kindheit verweigert worden war, aber zu dieser Suche hatte sich fatalerweise schon früh der Drang nach Zerstörung gesellt.
    Â»Ich wollte, daß Nicky dich haßt. Ich dachte, das würde er, wenn er dich für eine Diebin halten müßte. Aber er hat Daniel die Schuld gegeben. Und Mama hat mich ins Internat geschickt, was schrecklich war. Ich hätte nicht dorthin gehen müssen, wenn du nicht gewesen wärst. Außerdem war es einfach zu schwierig, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen. Gerald ist gefallen, Nicky ging zum Militär, und nach dem Krieg hatte er sich verändert. Eigentlich wollte ich ihm eines Tages die Wahrheit sagen, wenn es keine Rolle mehr gespielt hätte, aber irgendwie schien nie der richtige Zeitpunkt zu sein. Und als er dich dann geheiratet hat … und mich nicht mehr wollte … da war ich so wütend. Ich dachte, genau das sei immer deine Absicht gewesen. Genau das hättest du damals in diesem Sommer geplant.«
    Â»Aber wir waren doch Kinder! « stieß Thomasine leise hervor wie eine Klage um eine Zeit, die jetzt vorbei war.
    Â»Dennoch war es wichtig«, sagte Lally verträumt. »Nur weil man ein Kind ist, heißt das ja noch lange nicht, daß es nicht zählt. Man hat doch auch seine Gefühle.«
    Jetzt verstand Thomasine, daß Lallys Empfindungen für Daniel nicht einfach abgestellt werden konnten. Auf ihre Weise hatte Lally Daniel geliebt. Und wenn diese Liebe aussichtslos war, dann bestand genau darin Lallys Tragödie.
    Â»Haßt du mich immer noch?«
    Lally sah auf die fernen Felder und Bäume hinaus. »Ich glaube nicht«, sagte sie schließlich. »Im Moment fühle ich überhaupt nicht mehr viel. Abgesehen von dieser scheußlichen Krankheit natürlich. Als es mir sehr schlechtging, hatte ich Angst, weil ich dachte, ich würde sterben. Aber jetzt ist mir nur langweilig.« Sie sah zu Thomasine auf. »Sie sagen, ich müßte vielleicht noch ein Jahr hierbleiben. Ich weiß nicht, wie ich das aushalten soll.«
    Die Augen fielen ihr zu. Die Schwester legte ihr Strickzeug weg und tippte auf ihre Uhr. »Zeit zu gehen, Miss Thorne.« Sie lächelte Lally an. »Wir wollen uns doch nicht überanstrengen, nicht wahr, meine Liebe?«
    Â»Alte Trantüte«, murmelte Lally. Aber ihre Wangen waren rot und fiebrig, und ihr kurzes dunkles Haar klebte in feuchten Strähnen an der Stirn.
    Thomasine nahm ihre Tasche und ihre Handschuhe. Lally packte sie am Ärmel, als sie sich abwandte. »Jetzt spielt es keine Rolle mehr, nicht wahr, Thomasine?«
    Sie wußte, daß sie die Wahrheit sagte, als sie antwortete: »Nein, jetzt nicht mehr, Lally.«
    Weil sie so spät vom Sanatorium zurückkehrte, holte sie William erst am nächsten Morgen von den Dockerills ab. Er lief ihr entgegen, als sie auf dem Weg neben dem Haus auftauchte. Sie schlang die Arme um ihn.
    Â»Mami! Mami! Ich bin auf Nelson geritten, und Mr. Dockerill hat ein paar kleine Enten für uns, und Rosie ist ein solches Baby  …«
    William wurde gedrückt und geküßt. Annie Dockerill rief aus der Küche: »Er war so ein lieber Junge. Sie trinken doch eine Tasse Tee, Thomasine?«
    Sie nahm dankbar an. Mit William auf dem Schoß setzte sie sich an den Küchentisch und sah zu, wie die kleine Rosie Dockerill mit einer Schüssel voller leerer

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