Die geheimen Jahre
geblieben wäre, wäre er wahrscheinlich nicht in der Lage gewesen, es zu halten. Die Abbey war schwer verschuldet. Er war nicht dafür bestimmt, Gutsherr zu werden, verstehst du? Gerald hätte der Erbe werden sollen, nicht Nicholas.«
»Aber das Haus �«
»Warum glaubst du wohl, daà wir jetzt hier wohnen? Das Haus stürzt ein.«
»Stürzt ein?« fragte er schockiert.
»Der Torf ist abgesunken, und der Lehm ist ausgetrocknet. Das Haus hat so gut wie keine Fundamente, und die Mauern sind ins Rutschen gekommen. Ein Cottage wie deins macht die Bewegung des Bodens mit, aber ein so groÃes Haus wie Drakesden Abbey fällt einfach in sich zusammen. Das Dach könnte einstürzen, behauptet der Gutachter.«
»Mein Gott. Ich hab Drakesden Abbey immer für unzerstörbar gehalten.«
»Ich auch. Aber ich hab mich getäuscht. Und wenn Nicholas herausgefunden hat â¦Â«Thomasine holte tief Luft und berührte flüchtig Daniels Hand. »Daniel, wir wissen nicht, ob sich Nicholas das Leben genommen hat. Das werden wir nie herausbekommen. Und wenn das zutrifft â nun, dann hätte er das zu jedem Zeitpunkt tun können. Der Krieg hatte ihn so stark verändert. Ich konnte wochenlang nicht schlafen, muÃte ständig darüber nachgrübeln, aber jetzt â¦Â« Sie schüttelte den Kopf. »Wir müssen einfach weitermachen, nicht wahr? Ich muà mich um seinen Sohn kümmern und versuchen zu retten, was von dem Anwesen noch zu retten ist. Du muÃt deine Bücher schreiben. Du muÃt die Wahrheit verbreiten.«
Sie sah sich in der kleinen, gemütlichen Küche um, die immer noch mit Geschirrkisten und Wäschekörben vollgestellt war. »Wie auch immer, mir gefällt es hier. Es hat die richtige GröÃe für mich und William. In dem riesigen Haus fühlten wir uns verloren.«
»Harry sagte, du hättest groÃartige Arbeit geleistet. Hühner â¦Salat ⦠Gemüse ⦠Schnittblumen.«
Thomasine stand auf und begann, eine der Geschirrkisten auszupacken. »Ich hab all die Früchte aus dem Obst- und dem alten Gemüsegarten, und du solltest sehen, was ich im Wintergarten alles züchte. Ich hatte Glück â es war leicht. Ich muÃte bloà ein biÃchen Ordnung machen.«
Sie wickelte eine Tasse aus dem Zeitungspapier. Daniel ergriff ihre Hand und spreizte sie auseinander. Die Schrunden zwischen den Knöcheln und die Narben von ehemaligen Blasen in der Handfläche waren immer noch sichtbar.
»Leicht?« fragte er leise. »Es ist nie leicht, Thomasine â das weià ich nur zu gut. Es ist unablässige Arbeit, von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Das weià ich deshalb, weil ich sie getan habe.«
»Aber es lohnt sich doch?« flüsterte sie.
Er erwiderte nichts, doch sie las ihm die Antwort an den Augen ab. »Wohin fährst du, Daniel?« fragte sie. »Nach Italien ⦠Frankreich?«
»Eigentlich wollte ich endlich nach RuÃland.« Seine Augen glänzten. »Harold behauptet, nach sechs Monaten Aufenthalt dort sei ich gesellschaftlich nicht mehr akzeptabel. Alle Bolschewiken sind laut der konservativen Presse Atheisten und Mörder. Ich dachte, ich mache mir selbst ein Bild davon.«
Sie verstand, daà Daniel noch immer ruhelos und getrieben war, genau wie Nicholas früher. Er versuchte, die Dämonen der Vergangenheit zu vertreiben, und würde sich nirgendwo niederlassen, bevor er eine bestimmte Art von Gleichgewicht gefunden hätte. »Wirst du Lally besuchen gehen, Thomasine?« hörte sie ihn fragen. »Ein Auge auf sie halten? Sie hat sonst niemanden.«
Sie sah ihn nicht an, sondern blickte zu William hinaus, der in sein Nest aus Blättern und Zweigen kroch. Sie verstand, daà Daniel für Lally nicht das gleiche empfand wie einst für sie. Die Gefühle für Lally bestanden aus einer Mischung von Bedauern, Mitleid und Pflicht â eine Art Liebe vielleicht, aber nicht die beste.
»Ja. Ja â wenn du es möchtest.«
Er nahm ein Stück Papier und einen Stift und schrieb schnell ein paar Worte auf. »Das ist die Adresse des Sanatoriums und die meines Verlegers. Wenn du dich mit mir in Verbindung setzen möchtest, brauchst du nur Harold zu benachrichtigen.« Er stand auf. »Und hier ist ein biÃchen Geld für den Zug.« Daniel stopfte ein Bündel Noten in einen Krug auf der Anrichte.
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