Die geheimen Jahre
lassen. »Es wäre wohl kaum vernünftig, sie gleich wieder zurückzuholen. Du weiÃt, wie schwer es ihr jedesmal am Anfang des Quartals fällt, sich wieder einzugewöhnen.«
Nicholas öffnete die Fenstertüren des Wintergartens.
»Laà die Wärme nicht raus, alter Junge«, sagte Sir William. »Die Orchideen sind auÃerordentlich empfindliche Wesen.«
Die Tür wurde zugeknallt. Lady Blythe sah zu, wie das Hausmädchen die Asche aufkehrte, und ging dann in ihren Salon, um Marjorie einen Brief zu schreiben.
Nicholas wuÃte, daà seine Schwester Marjorie und ihre beiden Kinder nach Drakesden kämen, daà Marjories kriegsversehrter Ehemann mit einer guten Pflegerin zu Hause gelassen und Lally im Internat bleiben würde. Nicholas wuÃte schon lange, daà seine Mutter immer ihren Kopf durchsetzte. Das einzige, was ihr je einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte, dachte er, war die Sache mit dem armen Gerry. Mutter hatte sicher nicht gewollt, daà ihr Erstgeborener so endete: mit herausgerissenen Gedärmen, die über einem Kartoffelfeld bei Mons verstreut lagen.
Nicholasâ Hände begannen wieder zu zittern, deshalb stopfte er sie in die Taschen und begann schneller zu gehen. Er war dankbar, der Treibhausluft des Wintergartens entkommen zu sein. Mit tiefen Zügen atmete er die kalte, feuchte Luft der Fens ein, als er über die Rasenflächen schritt â die jetzt mit Gemüsebeeten bepflanzt waren â, am Tennisplatz vorbei und an der sogenannten Wildnis entlang. Einer der Ãrzte hatte gesagt, frische Luft und Bewegung würden helfen. Nicholas hätte dem Arzt alles sagen sollen, was er natürlich nicht getan hatte, weil es Dinge gab, die er niemandem anvertrauen konnte.
Nicht weit entfernt knackte ein Zweig, als ein Hase durchs Unterholz brach, und Nicholas warf sich flach auf den Boden, das Gesicht in den Farn und die vermoderten Blätter des wildwachsenden Gartens gedrückt. Schweià rann ihm über die Stirn: Er wuÃte, daà er nach Angst roch. Als er einen Moment später den Kopf hob, war er wieder in Flandern. Er sah alles ganz deutlich vor sich: den Schlamm, den Stacheldraht, den heiÃen orangefarbenen Stern, als ein Mörser explodierte. Einen Augenblick später löste sich alles auf, und er war wieder in der Wildnis in Drakesden, vollkommen sicher, die Hose mit Erde beschmutzt und totes Laub in den Haaren. Beschämt rappelte er sich auf und fürchtete nur, daà die Visionen ihn nie mehr loslassen und ihn für immer in den Schützengräben gefangenhalten würden.
Er klopfte sich die Kleider ab und zupfte sorgfältig jeden Erdklumpen und jedes Blatt von seiner Kleidung. Dann ging er wieder weiter und sah sich um, um sicherzugehen, daà niemand sein seltsames Verhalten bemerkt hatte. Er schlenderte an den Gewächshäusern, den Geräteschuppen und an den langen Lorbeerhecken vorbei und widerstand der Versuchung, seinen unbedeckten Kopf einzuziehen und auf dem Bauch zu robben. Als er die gewundenen Pfade des Labyrinths erreichte, fühlte er sich im Schutz der frisch ausgeschlagenen Zweige über ihm und dem Farn zu seinen FüÃen sicherer.
Bei dem ummauerten Garten blieb er stehen und drückte die Klinke der Tür herunter. Quietschend öffnete sie sich, ein paar Efeuranken rissen ab, und dann war er drinnen, umgeben von Rosenbeeten und den Statuen in den Nischen. Nicholas trat ein paar Schritte vor und lieà die Tür hinter sich zufallen. Der Garten war noch ganz genauso, dachte er verwundert, er hatte sich kein biÃchen verändert. Im Gegensatz zu den Rasen- und Buschflächen war der ummauerte Garten nicht umgegraben worden, um während des Krieges Gemüse anzupflanzen. Das Gras muÃte vielleicht gemäht werden, und die Rosen waren nicht ordentlich beschnitten worden, aber ansonsten war er noch ganz derselbe.
Die Rosen trugen noch keine Knospen, aber wenn er genau hinsah, konnte Nicholas die winzigen grünen Triebe sehen, die wie Smaragde über die Zweige verstreut lagen. Einmal wenigstens kam der Geruch, der seine Einbildung beherrschte, nicht von faulenden Leibern oder Senfgas, sondern von den Rosen auf Drakesden Abbey.
Nicholas verlieà den ummauerten Garten und wanderte zum Obstgarten hinüber. Er duckte sich unter dem Seitentor hindurch und ging durch den Wald den Hügel hinunter. Die schwarzen Ãste der Bäume schlossen sich
Weitere Kostenlose Bücher