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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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gibt’s mir doch ein bißchen Geld, Nicky?«
    Er nickte und drosselte das Tempo vor einer Kreuzung. Der Delage bremste weich, und Lally ließ sich auf den Sitz zurücksinken.
    Â»Ich glaube, hier wird’s am schönsten. Rom und Monaco waren wundervoll, aber Paris wird am schönsten sein. Außerdem bin ich bald neunzehn.«
    Â»Werden wir das feiern, Kleine?«
    Â»Wir leisten uns ein herrliches Dinner und tanzen bis morgens früh um drei. Vielleicht in einem dieser reizenden Cafés.«
    Der Pferdewagen, der Nicholas den Weg versperrte, fuhr weiter, und er legte den Gang ein. Lally brauchte nicht auf dem Stadtplan nachzusehen, er kannte den Weg zu ihrem Hotel. Die Straßen kamen ihm beim Durchfahren bekannt vor, wenn auch nicht allzu vertraut. Die Champs-Élysées wirkten heller und freundlicher – selbst die Platanen schienen Nicholas dichter belaubt als zwei Jahre zuvor. Als sie sich der Place de la Concorde näherten, dachte Nicholas, daß es vielleicht vorbei war, daß er die schlimmen Dinge vergessen hatte, daß alles in Ordnung war. Wenn er fuhr, wenn er sich in Gesellschaft befand, konnte er das glauben.
    Sie stiegen im Hôtel de Crillon ab und wurden auf ihre Zimmer geführt. Nachdem er gebadet und sich umgezogen hatte, klopfte Nicholas an Lallys Tür. »Ich seh lieber mal bei Cook’s vorbei. Wir haben fast kein Bargeld mehr. Du brauchst nicht mitzukommen, Lal – ich seh dich beim Dinner.«
    Ein Bündel Briefe und ein Scheck lagen bei der Reiseagentur für Nicholas bereit. Alles stammte von seiner Mutter. Er wechselte den Scheck ein und fand anschließend einen freien Platz in einem Straßencafé, wo er Kaffee und Gebäck bestellte und den ersten Brief öffnete. Drakesden schien jetzt sehr fern zu sein, fast außerhalb seiner Vorstellungsmöglichkeiten. Er und Lally hatten East Anglia mitten im Winter verlassen, als der Regen die Kanäle anschwellen ließ und die tiefliegenden Felder in Sümpfe verwandelte. Ihre Abreise hatte sich verzögert, weil seine Mutter sich nicht erneut von ihm trennen wollte und weil sein eigener Gesundheitszustand schwankend war. Doch fern von England, in der frühlingshaften Sonne Italiens und Monacos, hatten die schrecklichen Visionen nachgelassen, bis er wieder in der Lage war, mit ihnen umzugehen. Lallys Gesellschaft – jede Gesellschaft – tat ihm gut.
    Er sah alle sechs Briefe durch, trank seinen Kaffee und aß das Gebäck. Wieder im Hotel, klopfte er erneut an Lallys Tür.
    Â»Du kannst sie lesen, wenn du willst.« Er warf die Briefe auf ihr Bett.
    Â»Nichts für mich?« Lally kämmte sich das Haar aus. Sie sah auf die Adressen auf den Briefen. »Ach je. Was für eine Enttäuschung.«
    Er wußte nie, ob es ihr etwas ausmachte oder nicht. »Mama schickt dir Grüße«, fügte er hastig hinzu. »Es gibt ohnehin nicht viele Neuigkeiten. Das Übliche – Marjories Kinder, Mamas Sparbemühungen, also nichts weiter Aufregendes. Ach ja, Pa hat dieses Stück Land verkauft. An eine Mrs. Harriet Soundso aus Bethnal Green.«
    Lally kicherte. »Eine Cockney-Bäuerin. Kannst du dir das vorstellen, Nicky? Sie wird alle Dorfbewohner ›Schätzchen‹ nennen und erwarten, daß Bäume in Reihen wachsen.«
    Nicholas streckte sich auf Lallys Bett aus und schloß, plötzlich müde geworden, die Augen. Oft war es für ihn leichter, am Tag zu schlafen als in der Nacht.
    Lally setzte sich neben ihn. Ihre kleine Hand umschloß die seine.
    Â»Das macht doch Spaß, Nicky, oder? Jetzt wird alles gut, nicht wahr?«
    Er bemerkte die Besorgnis in ihrer Stimme. »Klar«, antwortete er schläfrig. »Julian und Belle kommen morgen. Vielleicht kommt Ettie auch mit.«
    Â»Ettie hat sich einen Bubikopf schneiden lassen.« Einen kurzen Moment lang nahm er Lallys Stimme noch wahr, bevor er einschlief. »Findest du, daß ich mir das Haar abschneiden lassen sollte?«

5
    Â» ENDE DES MONATS , Poppy.« Thomasine starrte trübsinnig in ihr Glas. »Ende des Monats ist es vorbei.«
    Poppy lutschte die Kirsche von ihrem Cocktailspießchen. »Es ist verdammt mies, was?«
    Sie saßen in dem Café neben dem Theater. Es war der vierzehnte Juli, der Nationalfeiertag, deshalb hatte man ihnen erlaubt, länger auszubleiben. Das Café war in der Farben der französischen Trikolore geschmückt: Rot,

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