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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Weiß, Blau. Sie hatten mehrere Tische zusammengerückt, saßen dicht nebeneinander, und auf den Tischen standen bereits zahlreiche Flaschen und Gläser. Clive saß am oberen Ende, neben Clara Rose und dem Regisseur.
    Â»Was wirst du tun?« fragte Thomasine.
    Â»Wenn ich das wüßte.« Poppy zuckte die Achseln. »Nach Hause fahren vermutlich. Ich hab die Nase voll von dem Ganzen. Ich vermisse meine Mutter … und London.« Sie sah Thomasine von der Seite an. »Und du?«
    Thomasine konnte nicht anders, als einen Blick ans andere Tischende zu werfen, wo Clive saß. Als sie hinsah, legte er gerade den Arm um Clara Rose und küßte sie auf die Wange. Sie fühlte sich plötzlich elend. All ihr Vertrauen in die Zukunft war mit einemmal verschwunden.
    Â»Ich weiß nicht. Vielleicht bleibe ich eine Weile hier.«
    Doch ohne die wöchentlichen Einkünfte von der Revue wäre sie nicht in der Lage, sich über Wasser zu halten. Sie mußte einen anderen Job finden, und zwar schnell. Sie beschloß, am nächsten Morgen alle Theater in Paris abzuklappern und nach einer freien Stelle zu fragen. Selbst wenn sie Clive verlor, dachte sie, hätte sie zumindest noch ihren Beruf.
    Â»Ich dachte, du und Alice würden heimfahren.«
    Der Assistent des Inspizienten, der in sie verschossen war, stellte einen weiteren Cocktail vor Thomasine. Sie lächelte ihn abwesend an und rührte die farbige Flüssigkeit heftig um. »Alice hat sich noch nicht entschieden.«
    In Wirklichkeit wechselten Alice und sie inzwischen kaum noch ein Wort. Sie nahmen ihre Mahlzeiten getrennt ein, liehen sich keine Kleider mehr und halfen sich gegenseitig nicht länger mit Ausreden aus, wenn sie länger fortbleiben wollten. Alices Distanzierung von Thomasine war ein stetiger, aber unvermeidlicher Prozeß gewesen, seit Thomasine angefangen hatte, sich mit Clive zu treffen.
    Â»Alice sollte sich ein bißchen zusammennehmen«, flüsterte Poppy. »Sie wird bald nicht mehr so hübsch sein, wenn sie so weitermacht.«
    Alice hatte ihr Glas bereits geleert. Sie lachte, ihre Wangen leuchteten genauso rot wie ihre geschminkten Lippen.
    Die Musiker versammelten sich ums Klavier und begannen zu spielen. Clive führte Clara Rose in die Mitte der Tanzfläche.
    Poppy zündete sich eine Zigarette an und lächelte. »Also hat’s mit den beiden wieder angefangen. Hast du nichts davon gewußt? Claras reicher Freund finanziert eine Tournee für sie, hab ich gehört. Der gute Clive muß sicherstellen, daß eine Hauptrolle für ihn drin ist.«
    Thomasine durchfuhr ein schmerzhafter Stich. Sie wollte aus dem Café in die Pension zurücklaufen und stundenlang heulen, aber das gestattete sie sich nicht. Sie sah Clive und Clara Rose nicht beim Tanzen zu, sondern zwang sich, all ihren Stolz zusammenzunehmen, zu lächeln, zu reden und zu lachen.
    Sie hatten den frühen Abend in einem Nachtklub verbracht und zogen jetzt von Café zu Bar und von Bar zu Café und nahmen überall einen Drink. Sie waren zu acht: Nicholas und Lally Blythe, Ettie, Boy, Julian, Belle und zwei Franzosen. Belle war eine Cousine der Blythes. Sie feierten Lally Blythes neunzehnten Geburtstag.
    Arm in Arm mit Lally und Belle, bahnte sich Nicholas den Weg durch die Menschenmenge auf den Trottoirs und redete sich ein, schrecklichen Spaß zu haben. Die Vorstellung, die sie in dem Nachtklub gesehen hatten, war mit nichts zu vergleichen, was er je zu Gesicht bekommen hatte. Als er 1918 in Paris war, hatte er nicht die Gelegenheit genutzt, derlei Orte zu besuchen. Heute abend jedoch jubelte er ausgelassen gemeinsam mit Boy und Julian den Tänzerinnen zu. Einige der Mädchen waren nackt, abgesehen von einem kleinen, mit Münzen besetzten Stoffstück um die Hüften. Sie standen unbeweglich da und posierten vor irgendeinem absurden Hintergrund: einem klassischen Tempel oder einem Mondkrater. Julian richtete sein Opernglas auf sie, aber Nicholas wandte im Dunkel des Zuschauerraums die Augen ab. Es war, als hörte er immer noch die Stimme seiner Mutter, die ihn ausschimpfte, weil er die nackten Statuen in dem ummauerten Garten anstarrte. Sieh nicht hin, Nicky. Das gehört sich nicht .
    Inzwischen war es dunkel. Nicholas wußte nicht, wie spät es war, aber er schätzte, daß es schon früher Morgen sein mußte.
    Â»Ich werde neunzehn Cocktails trinken«, sagte Lally neben

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