Die geheimen Jahre
Monats auf einem Schiff nach England sitzen.«
Sie war dabei, die Geduld zu verlieren, beinahe wäre sie von der Tanzfläche gelaufen und hätte ihn allein stehenlassen. »Clive« , zischte sie wütend.
Er sah auf sie hinab und zuckte die Achseln. »Clara Rose versucht noch immer verzweifelt, sich bei ihrem Bankier einzuschmeicheln. Sie könnte genau wie wir am Ende des Monats arbeitslos sein.«
Sie wuÃte nicht, ob sie ihm glauben sollte. »Was wird aus uns, wenn die Revue abgesetzt wird, Clive?« fragte sie geradeheraus.
Sie sah den Ãrger in seinen Augen. »Mach kein Theater, SüÃe«, antwortete er. »Ich kann Mädchen nicht ausstehen, die Theater machen. Wir müssen eben sehen.«
Auf ähnliche Fragen hatte er in den vergangenen Wochen die gleiche Antwort gegeben. Thomasine versuchte noch einmal, ihm ihre Zwangslage verständlich zu machen.
»Ich suche immer noch nach Arbeit. Ich hab die Zeitungen durchgesehen, aber es gibt nichts.«
»Es ist schon vertrackt, nicht?« Sie konnte sehen, daà er nicht wirklich zuhörte. Seine blauen Augen schweiften abwesend durchs Lokal, und seine Stirn war gerunzelt.
»Kopf hoch, Kleines«, sagte er unbestimmt. »Davon geht doch die Welt nicht unter, daà eine lausige Revue abgesetzt wird.«
Die Musik war verstummt. Sie standen immer noch in der Mitte der Tanzfläche, hielten sich noch immer umschlungen, aber sie hätten genausogut zehntausend Meilen voneinander entfernt sein können, dachte Thomasine.
»Ich gehe nicht zurück«, sagte sie. Sie hörte die Verzweiflung in ihrer Stimme. »Das könnte ich nicht ertragen.«
Clive beugte sich hinunter und drückte ihr einen flüchtigen Kuà aufs Haar. »Wir reden später darüber, Liebling. Irgendwas ergibt sich schon.«
Lally versuchte, sich klarzuwerden, mit welchem der Männer an ihrem Tisch sie diese Nacht schlafen sollte. Es war keine leichte Wahl, weil sie keine Erfahrung in diesen Dingen hatte. Nach jenem ersten Experiment mit Daniel Gillory war eine lange Brachzeit eingetreten. Die Schule und Drakesden hatten ihr Wissen auf sexuellem Gebiet nicht sonderlich erweitert. Peinlicherweise war sie immer noch Jungfrau, aber wild entschlossen, dies heute nacht zu ändern: ein ganz besonderes Geburtstagsgeschenk an sich selbst.
Sie lehnte sich in ihren Stuhl zurück und betrachtete die Leute an ihrem Tisch. Nicholas war ihr Bruder, weshalb er natürlich nicht in Frage kam. Boy â nun ja. Boy trug sein spärliches braunes Haar in der Mitte gescheitelt und dicht an den Kopf geklatscht. Er kannte alle und jeden, weshalb er nützlich war. Aber seine blassen Augen traten hervor, und es gab keinerlei Anzeichen dafür, daà Boy sie attraktiv fand. Er hatte ihr zu einem Kleid in blassem Violett geraten, ein durchaus guter Vorschlag, aber Lally vermutete, daà sein Interesse eher ästhetischer als sexueller Natur war.
Julian. Julian war Belles Ehemann, und dank Belles Hilfe war Lally in der Lage gewesen, einige ihrer Wissenslücken zu schlieÃen. Mama hatte ihr natürlich nichts erklärt, und das Einsetzen ihrer Periode während der Schulzeit war ihnen beiden peinlich und unangenehm gewesen. Bevor sie mit Belle gesprochen hatte, war sich Lally nicht einmal sicher gewesen, wozu die Periode überhaupt diente. Ihr sonstiges, recht dürftiges Wissen über sexuelle Zusammenhänge stammte von ihrer Biologielehrerin in der Lady-Maryâs-Schule (Blumen und Bienen), von einigen gut versteckten Postkarten in Papas Arbeitszimmer und ihren eigenen aufmerksamen Beobachtungen.
Bei Belle hatte sie ein gewisses Maà an Erfahrung vorgetäuscht, und Belle hatte ihre Lücken bereitwillig gefüllt. Julian war nicht Belles erster Geliebter gewesen, auch nicht ihr letzter. Belle hatte es genossen, über ihre verschiedenen Liebhaber zu erzählen. Einen Moment verweilte Lallys Blick auf Julian, sie betrachtete das blonde, leicht gelockte Haar und den schmalen Schnurrbart, bevor sie zu den beiden Franzosen überging.
Sie hieÃen Jean-Luc und Marcel. Jean-Luc war der jüngere der beiden und vermutlich der attraktivere, aber Lallys Blick kehrte immer wieder zu Marcel zurück. Von Boy hatte sie erfahren, daà Marcel ein Graf war. Er besaà ein Haus in Paris und irgendwo anders ein SchloÃ. Er war allerdings alt â mindestens vierzig, schätzte Lally. Sie hatte sich ausgerechnet,
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