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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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sondern blickte auf den wolkenlosen leeren Horizont hinaus. »Wenn der Krieg lange genug dauert«, fügte er hinzu, »gehe ich zu einem Kavallerieregiment. Gerald kann sich gleich melden, der Glückspilz. Er ist gestern neunzehn geworden.«
    Thomasine starrte ihn an. Erst heute morgen hatten sie und Tante Hilly Zeitungen und Atlanten studiert. Unsicher sagte sie: »Das betrifft doch sicher nicht uns? Großbritannien wird doch sicher nicht hineingezogen?«
    Â»Kommt darauf an, ob Deutschland die belgische Neutralität respektiert«, warf Daniel ein. »Wenn nicht …«
    Â»Wenn nicht«, fuhr Nicholas fort, »dann werden wir gegen die Deutschen kämpfen. Das wird ein Heidenspaß. Aber das geht euch Mädels nichts an.«
    Er rollte sich auf den Bauch. »Schau nicht so bedrückt, Thomasine. Ich hab Durst, du nicht? Ich hätte Limonade mitbringen sollen. In der Küche der Abbey gibt’s Krüge davon. Ich sag dir was – warum kommst du morgen abend nicht in die Abbey rauf? Ich kann dir die Gärten zeigen. Hättest du Lust dazu?«
    Sie erinnerte sich an das Haus, das sie nur einmal kurz gesehen hatte und das durch Mauern vom übrigen Drakesden abgeschlossen war. An die geheimnisvollen Fenster, an das Gefühl, daß diese Gemäuer nur den auserwählten wenigen zugänglich waren. Sie brauchte Abwechslung, andere Orte, andere Leute.
    Â» Lust? Liebend gern, Nicholas.«
    Daniel saß mit dem Rücken zu ihnen und ließ die Beine über den Deichrand baumeln. Thomasine berührte Nicholas’ Hand und sah verstohlen zu Daniel hinüber.
    Â»Du natürlich auch, Gillory«, sagte Nicholas.
    Nicky war ausgegangen, und Miss Hamilton lag im Bett, daher war Lally wieder sich selbst überlassen und wanderte ziellos im Haus herum. Sie bildete sich ein, jetzt die Herrin von Drakesden Abbey zu sein. Mama und Papa waren mit Marjorie in London, Gerald war noch in der Schule, Nicky ausgegangen, und Miss Hamilton, Lallys Erzieherin, lag mit Kopfschmerzen im Bett. Niemand sagte Lally, was sie zu tun hatte.
    Aber Freiheit erwies sich als überraschend langweilig. Sie las nicht gern, sie nähte nicht gern, und sie fürchtete sich vor Pferden. Aus der Bibliothek schlenderte sie zum Arbeitszimmer ihres Vaters. Gerade als sie die Klinke herunterdrücken wollte, hörte sie Stimmen aus dem Innern. Zuerst die Stimme eines Mannes und dann helles Lachen. Einbrecher , dachte Lally erschrocken. Der Safe befand sich in Sir Williams Arbeitszimmer, und im Safe befanden sich Lady Blythes Juwelen und natürlich der Feuerdrachen. Lally mochte den Feuerdrachen. Gelegentlich nahm ihn Papa aus dem Safe, und sie durfte ihn halten. All ihren Mut zusammennehmend, kauerte sich Lally nieder und spähte durchs Schlüsselloch.
    Mit zusammengekniffenen Augen erkannte sie das Hausmädchen Ethel. Ethel lachte, ein hohes, dünnes Kichern, das in das dunkle, ernste Arbeitszimmer nicht zu passen schien. Ethel saß auf dem Rand von Sir Williams Schreibtisch, ihre schwarzen Knopfstiefelchen schwangen langsam hin und her.
    Ganz vorsichtig drückte Lally die Klinke herunter und spähte durch den Spalt. Sie erkannte Francis, den zweiten Diener. Er stand vor Ethel. Ethel hatte zu kichern aufgehört und sagte: »Nein, Frank, das darfst du nicht.« Aber sie hörte sich nicht ärgerlich an.
    Lally brauchte eine Weile, bis sie begriff, was sie machten. Dann sah sie, daß sie sich küßten. Sie hatte noch nie zuvor Leute gesehen, die sich so küßten. Ihre Münder schienen aneinanderzukleben. Ethel gab komische stöhnende Laute von sich, und ihre Augen waren geschlossen. Francis hatte eine Hand auf ihren Rücken gelegt und zog sie an sich. Mit der anderen schob er ihre Röcke über die Knie hinauf. Lally sah das Ende von Ethels dicken schwarzen Strümpfen und das Stück weiße Haut darüber. Heimlich beobachtete sie die beiden weiter. Sie wußte, daß sie alle drei etwas Verbotenes taten. Die beiden mit ihrer komischen Küsserei im Arbeitszimmer ihres Vaters und sie, indem sie zusah. Lally wußte, daß sie sich schämen sollte. Aber das tat sie nicht. Während sie zusah, stellte sie nur fest, daß sie sich zumindest nicht langweilte.
    Sie trafen Nicholas am Seitentor von Drakesden Abbey. Als sie durch das Tor ging, wußte Thomasine, daß sie eine andere Welt betrat. Der Blick durch den Obstgarten, seine starken

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