Die geheimen Memoiren der Jane Austen - Roman
Alton hat Edwards Bank eine Niederlassung.«
»Das stimmt«, sagte meine Mutter nachdenklich. »Henry hätte guten Grund, dort oft hinzukommen, meine ich.«
»Und es liegt in Hampshire, Mama«, sagte ich. »In Chawton zu wohnen, das wäre doch beinahe, als wären wir wieder zu Hause.«
»Schreibt Cassandra, wie groß diese Häuser sind?«, erkundigte sich Martha ein wenig ängstlich.
»Keine Sorge, Martha«, antwortete ich mit einem beruhigenden Lächeln. »Sie sind anscheinend beide groß genug, um uns allen Vier Unterkunft zu bieten, und dazu haben sie noch Platz für einige Bedienstete.«
»Das ist wirklich eine gute Nachricht«, meinte Martha erleichtert. »Obwohl ich, sollte es doch nicht der Fall sein, sicherlich anderswo eine Unterkunft finden kann. Ich möchte niemandem zur Last fallen.«
»Du könntest uns niemals zur Last fallen, Martha«, sagte ich. »Du gehörst zur Familie, und das wird immer so bleiben.«
Martha strahlte mich an, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Es schien ihr die Sprache verschlagen zu haben.
Beim Anblick ihres bebenden lieben Gesichts wurden auch mir die Augen feucht. Ich strich verlegen mein neues Kleid aus schwarzer Kreppseide glatt. »O je. Doch es erscheint mir nicht recht, in einem solchen Augenblick Freude zu empfinden. Zu denken, dass Edward zu einer Zeit an uns und unsere Bedürfnisse denkt, da er in den tiefsten Tiefen der Verzweiflung sein muss. Er ist zu gütig.«
»Es ist wahrhaftig ein großzügiges Angebot«, stimmtemeine Mutter mir zu. »Ich könnte dem lieben Jungen nicht dankbarer sein. Aber eigentlich hätte er es uns bereits vor drei Jahren machen sollen, als dein Vater selig dieses Erdenleben verließ. Und das beweist nur, was ich damals gesagt habe: Es war diese Ehefrau, die Edward davon abgehalten hat, seiner besseren Natur zu folgen.«
»Mama!«, rief ich entsetzt. »Das kannst du unmöglich immer noch glauben!«
»O doch! Warum sonst sollte Edward uns jetzt so verspätet dieses Angebot machen, so kurz nach dem Ableben seiner Gattin?«
»Sicherlich liegt es daran, dass Edwards großer Verlust in ihm den Wunsch geweckt hat, seine Familie näher bei sich zu haben«, erwiderte ich.
»Ich bin mir gewiss, dass das auch mitspielt«, meinte meine Mutter, »und genauso gewiss bin ich mir, dass er uns das Haus bereits vor Jahren gegeben hätte und ein Einkommen noch dazu, wenn Elizabeth keine Einwände dagegen gehabt hätte.«
Bei diesen Worten meiner Mutter begaben sich meine Gedanken auf eine Traumreise, auf der ich mir vorstellte, was geschehen sein könnte, hätte Elizabeth tatsächlich versucht, durch subtile Argumente Edward dazu zu bringen, die Unterstützung, die er seiner Mutter und seinen Schwestern angedeihen lassen wollte, beträchtlich zu verringern. 22 Die kleine Szene, die ich mir ausmalte, brachte mich zum Lachen.
»Ich kann an dieser Situation nichts Komisches finden«, sagte meine Mutter mit streng gerunzelter Stirn.
»Jane wollte gewiss nicht respektlos sein, darauf kannst du dich verlassen«, mischte sich Martha diplomatisch ein und warf mir einen verständnisinnigen Blick zu. Sie hatte schon längst gelernt, die Augenblicke zu erspüren und zu tolerieren, an denen meine Gedanken plötzlich abschweiften. »Ich glaube, sie hat wieder im Kopf Geschichten geschrieben.«
»Wer kann denn in solchen Zeiten ans Schreiben denken?«, rief meine Mutter. »Wir müssen eine Entscheidung treffen! Chawton oder Wye?«
Nach langen Diskussionen wählten wir Chawton Cottage, weil es so nah bei unserer Familie und unseren Freunden in Hampshire lag und weil Henry nach Besichtigung des Anwesens einen so begeisterten Bericht erstattet hatte. Die Frau des Verwalters konnte jedoch erst im Spätfrühling ausziehen, und danach wollte Edward noch einige Umbauten vornehmen lassen. Also würden wir erst im Juli in das Haus übersiedeln.
Der Winter ging rasch vorüber. Cassandra blieb in Godmersham. Meine Mutter, Martha und ich verbrachten manchen gemütlichen Abend am Kamin und lasen einander aus den neuesten Romanen vor, wobei unsere absoluten Favoriten
Margiana
23 und
Marmion
24 waren.
Wenn das Wetter es erlaubte, gingen Martha und ich aus. Wir waren entschlossen, so vielen gesellschaftlichen Verpflichtungen in unseren verbleibenden Monaten inSouthampton nachzukommen und so viele Bälle zu besuchen, wie nur irgend möglich, ehe wir wieder aufs Land zogen. Ich wurde zu meiner Überraschung diverse Male zum Tanzen aufgefordert und vergnügte mich dabei
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