Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë
das Verlagshaus Smith & Elder Teil eines großen Buchladens war und in einer Straße lag, die beinahe so geschäftig war wie The Strand. Wir traten ein und gingen zum Ladentisch. Es war Samstag, also ein Werktag, und in dem kleinen Raum befanden sich sehr viele junge Männer und Burschen. Ich sagte dem ersten, den ich ansprechen konnte: »Könnte ich bitte mit Mr. Smith sprechen?«
Er zögerte, schaute ein wenig verwundert drein und bat um unsere Namen. Ich weigerte mich, ihm diese zu nennen, und erklärte, wir seien gekommen, um mit dem Verleger in einer Privatangelegenheit zu reden. Der Bursche bat uns, doch bitte Platz zu nehmen. Während wir warteten, nahm meine Besorgnis zu. Was würde Mr. Smith von uns denken? Er ahnte ja nichts von unserem Besuch; er hatte in den vergangenen elf Monaten unserer Zusammenarbeit geglaubt, dass Currer Bell ein Mann war. Und meine Schwester und ich gaben, so viel wusste ich, kein sonderlich eindrucksvolles Bild ab, da wir beide von so kleiner, schmächtiger Statur waren und unsere selbst genähten, dem ländlichen Geschmack angepassten Kleider und Hauben trugen.
Endlich kam ein großer, gut aussehender junger Gentleman auf uns zu. »Sie wollten mich sprechen, Madam?«, fragte er verwundert.
Anne und ich standen auf. »Sind Sie Mr. Smith?«, fragte ich überrascht und musterte durch meine Brille den dunkeläugigen, dunkelhaarigen jungen Mann von vierundzwanzig Jahrenmit seinem blassen Teint und seiner schmucken sportlichen Gestalt, der mir viel zu jung und zu attraktiv zu sein schien, um ein Verlagshaus zu leiten.
»Ja.«
Ich reichte ihm seinen an Currer Bell adressierten Brief. Mr. Smith schaute ihn an und blickte dann zu mir. »Woher haben Sie dieses Schreiben?«, fragte er.
Ich lachte über seine Verwirrung. Nach einem Augenblick, während sich stummes, verwundertes Verständnis auf seinen Zügen verbreitete, sagte ich: »Ich bin Miss Brontë. Ich bin auch Currer Bell, die Autorin von
Jane Eyr e
. Dies ist meine Schwester Anne Brontë alias Acton Bell. Wir sind aus Yorkshire hierhergekommen, um alle Zweifel auszuräumen, die Sie vielleicht an unserer Identität und unserer Autorenschaft hegen.«
FÜNFZEHN
»Sie sind die Bells?«, rief Mr. Smith völlig entgeistert aus. »Aber ich dachte – ich nahm an, sie wären drei Brüder!«
»Wir sind drei Schwestern!«, erwiderte ich – und bereute diese Zusicherung sofort, denn mit diesen vier unbedacht ausgesprochenen Wörtern hatte ich unwillkürlich das Emily gegebene Versprechen gebrochen. »Es freut mich, dass Sie das gedacht haben, Sir«, fuhr ich rasch fort, »denn das ist wirklich der Eindruck, den wir zu vermitteln wünschten.«
Mr. Smith stieß ein lautes Lachen aus, das eine Mischung aus Überraschung und offenkundigem Entzücken zeigte. »Und was ist mit Ellis Bell?«
»
Er
konnte nicht mitkommen.« Ich holte schnell zu einer kurzen Erklärung der Lage bezüglich Mr. Newbys aus und schmähte besagten Herren mit übertriebener Heftigkeit.
»Ihre Anschuldigungen sind wohlbegründet«, sagte Mr. Smith. »Wir nennen Mr. Newbys Unternehmen ›Die nubische Wüste‹. Manuskripte und Korrespondenz schmachten dort in alle Ewigkeit. Würden Sie so freundlich sein, einen Augenblick zu warten? Es gibt jemanden, mit dem ich Sie bekanntmachen möchte.« Er eilte fort und kehrte schon bald mit einem blassen, freundlich dreinschauenden, leicht gebeugten Herrn von etwa fünfzig Jahren zurück. Es war Mr. William Smith Williams. Es war mir ein großes Vergnügen, endlich den anderen Mann kennenzulernen, mit dem ich nun schon beinahe ein Jahr eine Korrespondenz von so freundschaftlicher Regelmäßigkeit geführt hatte.
Es folgte ein großes Händeschütteln und eine Stunde oder mehr, während der wir in Mr. Smiths hellem kleinen Bürosaßen – das gerade groß genug war, um drei Stühle und einen Schreibtisch aufzunehmen, aber ein großes Oberlicht hatte – und uns angeregt unterhielten. Der junge Mr. Smith war am gesprächigsten, während Mr. Williams und Anne beinahe gar nichts sagten. Mr. Williams zögerte ein wenig nervös beim Sprechen und schien Schwierigkeiten zu haben, die richtigen Worte zu finden, was ihn in der Konversation ab und zu ins Hintertreffen brachte. Doch ich wusste, wie intelligent er zu schreiben verstand, und unterschätzte ihn daher nicht.
Auch zu Mr. Smith fasste ich auf der Stelle eine Zuneigung. Ich sah, dass er ein angenehmer, praktisch denkender, intelligenter und schlauer Geschäftsmann war,
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