Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë
schrecklich!«
Der Zwischenfall führte zu allen möglichen Stellungnahmen in der Presse, was weitere Aufmerksamkeit auf die drei geheimnisvollen Bells lenkte. Die Neugier war geweckt, nicht nur durch das unbekannte Geschlecht der Autoren und den Inhalt ihrer Romane (die »Überspanntheit einer weiblichen Phantasie«, beklagte sich ein Kritiker), nun begannen die Leute sich zu fragen, ob die Bells nicht eigentlich ein und dieselbe Person wären! Waren
Agnes Grey
und
Sturmhöhe
tatsächlich frühe und weniger erfolgreiche Bemühungen des Autors von
Jane Eyre
?
Zunächst lachten Emily, Anne und ich über diese Spekulationen. Als jedoch die Zeit verging und das Geschwätz der Presse nicht abnahm, fand ich es immer weniger amüsant.Emily versuchte, ihre schmerzliche Enttäuschung über die grausamen Verrisse ihres Romans hinter der Maske resoluter Gleichgültigkeit und Geduld zu verbergen; aber ich wusste, wie ihr wirklich zumute war, und bemühte mich, meine eigenen Errungenschaften herunterzuspielen. Gleichzeitig verspürte ich jedes Mal, wenn mein Buch gelobt wurde, eine Mischung aus Zweifel und Furcht. Ich hatte mein Bestes gegeben, als ich
Jane Eyre
schrieb. Konnte ich aber ein weiteres Buch schreiben, das ebenso gute Aufnahme finden würde?
Der Winter 1848 war besonders streng, und ein grausamer Ostwind wehte vom Hochmoor zu uns herüber. Mein Bruder, meine Schwestern und ich litten alle innerhalb von wenigen kurzen Wochen zweimal an der Grippe oder sehr starken Erkältungen. Anne war allerdings die Einzige, die länger damit zu tun hatte und bei der die Krankheit einen bleibenden Schaden hinterließ. In ihrem Fall war dies mit einem besorgniserregenden Fieber und Husten verbunden, was ihre Lungen schwächte und ihr erneut das schwere Asthma bescherte, das sie seit ihrer Kindheit quälte. Zwei Tage und Nächte lang waren ihre Atembeschwerden so heftig, dass wir um ihr Leben fürchteten. Anne ertrug alles, wie sie jedes Übel ertrug: mit unendlicher Geduld und ohne eine einzige Klage, nur ab und zu seufzte sie, wenn sie am Rande der völligen Erschöpfung war.
Der Winter wich dem Frühling, und ich rang währenddessen ständig um ein Thema für meinen nächsten Roman. Mein Verleger schlug mir vor, ich solle mir vielleicht die von Dickens und Thackeray verwendete Technik des Fortsetzungsromans aneignen, doch ich lehnte dies ab, weil ich mir nicht vorstellen konnte, ein Buch zur Veröffentlichung vorzulegen, ehe ich das letzte Wort des letzten Kapitels geschrieben hatteund mit allem Vorangegangenen vollständig zufrieden war. Daher wollte ich unbedingt bei der Form des dreibändigen Romans bleiben. Ich legte einen Plan vor, wie ich das Werk
Der Professor
umarbeiten könnte, wobei ich den gesamten ersten Teil strich und den zweiten umschrieb und erweiterte. Doch dies trug mir nur eine höfliche, aber bestimmte Ablehnung ein. Ich versuchte mich an drei verschiedenen Anfängen für ein neues Buch, aber sie missfielen mir alle. Eine ganze Weile brachte ich nicht das Geringste zustande.
In meiner Jugend war ich beinahe von dem Bedürfnis besessen gewesen, meine lebhaften Phantasiegespinste aufzuzeichnen. Dann war, wie im Fall von
Jane Eyre,
das Schreiben meine Freude und mein Lebenselixier gewesen. Ganze Wochen waren mir wie im Fluge vergangen, während ich damit beschäftigt war. Ich schrieb, weil ich nicht anders konnte. Nun hatten mir zu meiner Verzweiflung der Erfolg, von dem ich geträumt hatte, und die geschäftlichen Erwartungen, die er nach sich zog, ein wenig die Freude an dieser Tätigkeit geraubt. Die herausragenden Schriftsteller unserer Zeit besaßen eine Weltläufigkeit, von der ich fürchtete, sie nicht für mich in Anspruch nehmen zu können. Meiner Meinung nach verlieh dies ihren Werken eine Bedeutung und Vielfalt, die weit über alles hinausging, was ich je hoffen konnte der Welt anzubieten. Ich verspürte eine große Verantwortung, einen weiteren herausragenden Roman zu schreiben. Ich war mir sicher, dass ich das Talent dazu hatte, aber ich stellte fest, dass ich eben nicht jeden Tag, nicht einmal jede Woche etwas zu Papier zu bringen vermochte, das lesenswert wäre.
Endlich legte ich mich auf ein Thema fest. Trotz des Erfolgs von
Jane Eyre
war ich sehr darauf bedacht, mich nicht erneut dem Vorwurf der Melodramatik und Unglaubwürdigkeit auszusetzen, die mir einige Kritiker zur Last gelegt hatten. DieStellung unverheirateter Frauen in der Gesellschaft beschäftigte mich in zunehmendem Maße.
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