Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë
vorzustellen. Ich verspreche Ihnen, dass sie Ihre Identität niemandem verraten werden. Sagen Sie mir, wo sind Sie abgestiegen?«
Ich brachte es nichts übers Herz, ihm auch diesen Wunsch abzuschlagen, und teilte ihm die Adresse mit. Zu unseremErstaunen trug Mr. Smith, als er uns am Abend in unserem Gasthof seine Aufwartung machte, Abendkleidung und war in Begleitung zweier eleganter junger Damen in großer Abendrobe auf dem Weg ins Opernhaus. Anne und ich hatten uns eigentlich nicht darauf eingestellt, auszugehen. Wir hatten keine feinen, eleganten Kleider mitgebracht, besaßen auch gar keine. Doch wir zogen uns rasch das Beste an, was wir finden konnten, und begleiteten die drei. Mich begeisterten eher die großartige Architektur des Opernhauses und das glänzende, dort versammelte Publikum (solche Pracht und solchen Pomp hatte ich erst einmal in meinem Leben, und zwar in Brüssel, zu Gesicht bekommen) als die Aufführung des
Barbiers von Sevilla
von Rossini (seither habe ich Stücke gesehen, die mir besser gefallen); aber insgesamt war der Abend wirklich aufregend, und meine Schwester und ich werden ihn niemals vergessen.
Am Dienstagmorgen, ehe wir die Stadt verließen – nachdem wir den Vortag über durch die Kunstgalerien gewandert waren und mit Mr. Smith und der Familie Mr. Smith Williams zu Abend gegessen hatten – gingen wir zu Mr. Thomas Newby. Auch bei dieser Unterredung wurden wir mit der gleichen erstaunten Ungläubigkeit empfangen, mit der man uns bei Smith & Elder begrüßt hatte. Doch da hörte die Ähnlichkeit auch schon auf. Mr. Newbys Unternehmen in der Mortimer Street Nr. 72, Cavendish Square, war so düster und unaufgeräumt, wie Mr. Smiths Verlagsbüro hell und ordentlich gewesen war, und der Herr selbst passte vorzüglich zu seiner Umgebung: Er schlurfte klein, dunkel und recht ungepflegt herbei. Außerdem führte die Entdeckung, dass sein Autor Acton Bell in Wirklichkeit eine Frau war, dazu, dass er unverzüglich deutliche Herablassung und beinahe Verächtlichkeit an den Tag legte.
»Ich bitte um Verzeihung«, sagte Mr. Newby hochnäsig hinterseinem staubigen Ladentisch hervor (er hatte uns nicht in sein Büro hinter dem Geschäft gebeten, wofür ich ihm unaussprechlich dankbar war), »falls ich Ihre Lage falsch verstanden habe, aber ich verließ mich auf Angaben zur Person dieses Mr. Bell, die ich für zutreffend hielt. Ich werde natürlich mein Angebot bei Harper’s zurückziehen, und dann wollen wir für Ihr gegenwärtiges Buch das Beste hoffen,
Miss A
nne.« Das durchtriebene Funkeln seiner kleinen Äuglein und sein herablassender, unaufrichtiger Ton bestätigten mir alle Sorgen, die ich mir je bezüglich seines Charakters gemacht hatte.
»Mit Newby will ich nichts mehr zu schaffen haben«, beschloss Anne später am Morgen, als wir, schwer beladen mit Büchern, die uns Mr. Smith gegeben hatte, in dem Zug unsere Plätze einnahmen, der uns nach Hause bringen sollte. »Ich möchte ihn nicht mehr als meinen Verleger haben.«
»Dann wollen wir hoffen, dass er zumindest seinen Teil der Vereinbarung erfüllt«, sagte ich.
Newby teilte
Harper’s
tatsächlich alle von uns offenbarten Erkenntnisse mit. Doch schon bald begann er, überall das Geheimnis unserer wahren Namen und unseres Geschlechts durchsickern zu lassen. Es dauerte Jahre, bis er auch nur einen kleinen Teil des Geldes bezahlte, das er meinen Schwestern schuldete.
Während Anne und ich im Zug saßen, lasen wir noch einmal die ersten Besprechungen für
Die Herrin von Wildfell Hall,
die genau am Tag unserer Ankunft in London erschienen waren. Die Einschätzungen waren unterschiedlich. Sie lobten den Schreibstil, klagten aber darüber, wie in dem Roman die menschlichen Verfehlungen in größter Deutlichkeit und in allen Einzelheiten geschildert wurden, und über die »krankhafte Vorliebe des Autors für das Vulgäre, um nicht zu sagen Brutale«.
Ich fühlte mit Anne. Obwohl sie nicht viel sagte, da sie ja von Natur aus schweigsam, ruhig und zurückhaltend war, konnte ich doch sehen, dass diese unfreundlichen Kritiken sie sehr schmerzlich trafen. Aber trotz (oder vielleicht sogar wegen) der Kritiken verkaufte sich Annes Roman sehr gut, und Newby brachte nur sechs Wochen nach der ersten Auflage eine zweite heraus.
Kaum hatten wir im Pfarrhaus auch nur einen Fuß zur Tür hereingesetzt, da drängte uns Emily schon, am Kamin des Studierzimmers Platz zu nehmen und ihr und Papa einen genauen Bericht über all das zu geben, was
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