Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë
Gleichzeitig reizte mich der Gedanke, einen historischen Roman zu verfassen. Papa hatte mir viele faszinierende Geschichten über die explosive Lage während der Aufstände der Maschinenstürmer in den Woll- und Baumwollwebereien von Yorkshire während der Regency-Periode 1 erzählt. Vor diesem Hintergrund begann ich damit, meine Nachforschungen anzustellen und
Shirley
zu schreiben.
Auch Emily begann ein neues Buch, obwohl sie sich weigerte, uns mitzuteilen, was ihr Thema war. »Ich weiß nicht, ob ich noch einmal etwas veröffentlichen möchte«, erklärte sie, als wir uns in jenem Frühjahr wieder einmal zu einer unserer abendlichen Gesprächsrunden im Esszimmer getroffen hatten. »Und selbst wenn ich es möchte, so komme ich immer noch am besten in vollständiger Abgeschiedenheit voran. So habe ich den größten Teil der ersten Fassung von
Sturmhöhe
geschrieben. Jetzt beschäftige ich mich mit einem neuen Buch. Im Augenblick bin ich nicht bereit, mehr dazu zu sagen. Ich zeige es euch, falls und wenn ich damit zufrieden bin.«
Anne hatte trotz ihrer schwächer werdenden Gesundheit nun schon mehr als ein Jahr lang Tag und Nacht über ihr Schreibpult gebeugt gesessen und an ihrem zweiten Buch
Die Herrin von Wildfell Hall
gearbeitet. Sie war so völlig vertieft in diese Aufgabe, dass Emily und ich sie nur mit Mühe dazu überreden konnten, einmal einen Spaziergang zu machen oder sich an einem Gespräch zu beteiligen.
»Es tut dir nicht gut, immer im Zimmer zu sitzen«, warnte ich sie an einem besonders herrlichen Maitag. »Du brauchst Bewegung, Anne! Komm mit uns ins Freie!«
»Ich bin beinahe fertig mit der Reinschrift meines Romans«, erwiderte Anne. »Mr. Newby wartet darauf. Ich möchte das jetzt fertigmachen.«
Die Herrin von Whitefell Hall
war ein äußerst gewagter Roman, dessen Heldin, eine mutige Frau, ihren dem Trunk ergebenen, lasterhaften Ehemann verlässt, um sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen und ihren Sohn von seinem schlechten Einfluss zu befreien. Ich zollte Anne für ihr Werk und ihre handwerklichen Fertigkeiten großes Lob. Ich hatte das Gefühl, dass es sich um ein außerordentlich beeindruckendes und gut geschriebenes Buch handelte. Allerdings fand ich, dass Anne bei der Wahl ihres Themas einen Fehler gemacht hatte.
»Dein reicher Trunkenbold ist nicht Branwell«, sagte ich ihr, »obwohl seine Trunkenheit offensichtlich Branwells Trunkenheit ist. Die minutiös genaue Beschreibung seines Verfalls ist höchst verstörend zu lesen, und die Amoralität vieler deiner zentralen Gestalten« (die in ehebrecherische Affären verwickelt waren, wie Anne sie in Thorp Green mit angesehen hatte) »ist, fürchte ich, kein Thema, das die Öffentlichkeit bereitwillig akzeptieren wird. Denke doch nur, wie sehr man mich dafür kritisiert hat, dass ich eine Figur wie Mr. Rochester geschaffen habe – obwohl all
seine
Affären in der Vergangenheit lagen und er sie bereute.«
»Ja, aber, Charlotte, würdest du deinen Roman denn wirklich heute anders schreiben?«
Ich zögerte. »Nein, ich glaube nicht.«
»Dein Verleger hat dir gesagt, dass Teile von
Jane Eyre
zu schmerzlich zu lesen seien, dass sie dir das Publikum entfremden würden – und er hat damit unrecht gehabt. Ich glaube, mit meinem Buch wird es ähnlich sein. Ich halte es für meine Pflicht, diese Geschichte zu erzählen. Wenn ich damit nurein bisschen Gutes tun kann – wenn ich nur eine junge Frau davor bewahren kann, einen so törichten Fehler zu begehen wie Helen in meiner Geschichte –, dann hätte ich das Gefühl, mein Ziel erreicht zu haben.«
Anne schickte wie verabredet ihr vollendetes Manuskript an ihren Verleger Mr. Newby, der von weniger Skrupeln geplagt wurde, und bekam von ihm bessere Bedingungen als für ihr erstes Buch. Sie sollte bei der Veröffentlichung des Werks 25 Pfund erhalten und weitere 25 Pfund nach dem Verkauf von jeweils 250 Exemplaren, wobei sich das Honorar mit zunehmenden Verkaufszahlen steigern würde. Als Mr. Newby jedoch im Juni 1848
Die Herrin von Wildfell Hall
herausbrachte, schaffte er es mit Hilfe einer geschickten Formulierung, es so aussehen zu lassen, als sei der Roman vom selben Autor (in der Einzahl) wie
Jane Eyre
und
Sturmhöhe
. Schlimmer noch, er bot das Buch zu diesen Bedingungen auch Harper’s an, dem amerikanischen Verlag, der im Januar
Jane Eyre
in Amerika herausgebracht hatte (wo es sich sehr gut verkaufte) und mit dem mein Verlag bereits einen Vorvertrag über Currer Bells nächsten
Weitere Kostenlose Bücher