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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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beerdigen«, sagte Mr. Ainley.
    »Gegen seine Prinzipien?«, rief ich. »Einen Säugling zu beerdigen?«
    »Wir hatten ja wirklich vor, das Kind taufen zu lassen!«, versicherte Mrs. Ainley. »Aber er war doch die ersten zwei Monate nach seiner Geburt nicht wohlauf, und dann sind Mr. Ainley und all die anderen Kinder krank geworden, und dann war’s zu spät. Wir haben ihn gefragt, ob vielleicht der Herr Pfarrer die Beerdigung übernehmen könnte, aber er hat uns gesagt, der läge krank zu Bett. Und Mr. Brontë würde ohnehin genauso denken.«
    Das stimmte zumindest, überlegte ich und spürte, wie die Wut in mir aufstieg. Ich hatte unzählige Streitgespräche mit Papa über genau diese Halsstarrigkeit der Pfarrer geführt. Es war eines der wenigen Dogmen der Lehre Puseys, an denen auch Papa eisern festhielt.
    »Mr. Nicholls sagt, das Kind darf nicht auf dem Friedhof begraben werden«, fuhr Mrs. Ainley fort. »Und so ist unser armer Albert zur ewigen Verdammnis verurteilt, weil wir ihn selbst beerdigen müssen, ohne den Segen des Pfarrers und ohne den Segen Gottes!«
    Ich konnte meinen Zorn und meine Verzweiflung über diese Nachricht kaum bezähmen. Ich verabschiedete mich von den Ainleys, nachdem ich sie noch einmal meines tiefsten Beileids versichert hatte, und versprach, einige Erkundigungen einzuholen, um herauszufinden, ob man nicht doch etwas für sie tun könne. Dann machte ich mich unverzüglich auf den Heimweg, in der Absicht, meinen Zorn über Papa auszugießen. Als ich jedoch in die Church Lane einbog, sah ich, dass Mr. Nicholls gerade das Schulhaus verließ. Mit klopfendem Herzen lief ich sofort zu ihm hin.
    »Sir! Ich bin gerade bei den Ainleys gewesen. Sie haben mir von Ihrem völlig unzumutbaren Verhalten berichtet: Sieweigern sich tatsächlich, dieses unschuldige Kind zu beerdigen! Wie können Sie sich einen Christen nennen, Sir, und diese Menschen so grausam behandeln?«
    »Miss Brontë«, erwiderte Mr. Nicholls, offensichtlich stark berührt von meinem Ausbruch. »Es schmerzt mich sehr, dass ich mit meinem Verhalten in dieser Angelegenheit bei Ihnen Missfallen erregt habe, aber ich habe nur meine Pflicht getan.«
    »Ihre Pflicht? Wie kann es Ihre Pflicht sein, die Bedürfnisse dieses armen, unschuldigen Kindes zu missachten? Es ist schon traurig genug, dass der Kleine so früh aus dem Leben scheiden musste – aber auch noch vom Kirchhof verbannt zu werden? Und nun denken seine Eltern, er sei zur ewigen Verdammnis verurteilt!«
    »Das mag sehr wohl sein, ganz gleich, was ich mache oder nicht mache. Denn der Säugling der Ainleys war nicht getauft. Die Eltern hatten ihre weltliche Pflicht erfüllt und das Kind im Zivilstandsregister eintragen lassen, aber sie haben es versäumt, auch ihre göttliche Pflicht zu tun, nämlich die religiöse Zeremonie durchführen zu lassen.«
    »Oh! Ich denke, von
Ihnen
hätte ich natürlich eine so selbstsüchtige, sture, rechthaberische Antwort erwarten müssen!«, rief ich, kochend vor Wut. »Sie sind kein Pfarrer, Mr. Nicholls, Sie sind eine Maschine! Ein gedankenloser Automat, der seine Arbeit ohne das geringste Mitgefühl und ohne einen einzigen Gedanken an die Menschen verrichtet!«
    »Miss Brontë!«, hob er entsetzt an.
    »Das Los der Ainleys berührt mein Herz! Aber Sie, Sie fühlen überhaupt nicht, wie sehr diese Familie leidet! Sie weisen Sie aus bloßer Prinzipientreue ab!« Ich schüttelte den Kopf, während mir eine andere Angelegenheit einfiel, bei der er auch mein Missfallen erregt hatte. »Diese Ablehnung derjenigen, die Ihren hohen Maßstäben nicht gerecht werden, scheintbei Ihnen eine alte Angewohnheit zu sein, Mr. Nicholls. Wie Sie damit leben können, Sir, ist mir ein Rätsel. Aber genauso grausam und gedankenlos haben Sie ja auch schon Frauen abgewiesen, die ihren Zwecken nicht mehr dienten.«
    Nun schaute mich Mr. Nicholls verwirrt und entsetzt an. »Verzeihung? Frauen?«
    »Frauen sind doch für Sie nur Gegenstände, Sir, die Sie fallen lassen, wenn Sie sie nicht mehr benötigen.«
    »Warum sagen Sie das?«
    »Haben Sie wirklich geglaubt, Sir, dass mir Miss Bridget Malone, als ich sie seinerzeit kennenlernte, nicht alles erzählen würde, was zwischen Ihnen beiden in Irland vorgefallen ist?«, gab ich wütend zurück.
    Mr. Nicholls wurde leichenblass. Einen Augenblick lang schien es, als hätte es ihm völlig die Sprache verschlagen. Dann fragte er leise: »Was hat Miss Malone Ihnen gesagt?«
    »Sie hat mir die ganze Geschichte erzählt:

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