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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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mit meinem Werk alleingelassen sein würde.
     
    Liebes Tagebuch, nun ist es Heiligabend 1854. Beinahe zwei Jahre sind vergangen, seit ich begonnen habe, diese Seiten zu schreiben. Ich habe jetzt das Gefühl, meine Erzählung abschließen zu können, nachdem ich sie endlich zu einem so zufriedenstellenden Ende geführt habe wie alle meine Bücher – und doch ist diese Geschichte noch besser, weil sie wahr ist.
    Martha und ich haben ganze zwei Tage damit verbracht, Kuchen und kleine Pasteten mit Früchten zu backen und andere traditionelle Spezialitäten für unser morgiges Weihnachtsessen vorzubereiten. Nach dem Festmahl wollen wir zu Ehren meiner Geschwister Abschnitte aus
Sturmhöhe
und
Agnes Grey
und zwei von Branwells veröffentlichten Lieblingsgedichten vorlesen. Wir haben das gesamte Haus geputzt und alles mit Bienenwachs, Öl und unzähligen Lappen bearbeitet, dass es nur so glänzt. Jeden Tisch und Stuhl, jeden Schreibtisch und jeden Teppich habe ich mit mathematischer Präzision an genau die richtige Stelle gerückt und genug Kohle und Torf ins Haus schaffen lassen, damit alle Feuer fröhlich prasseln und sämtliche Zimmer warm und hell sind.
    Während ich nun am Esszimmertisch sitze und die schönen Ergebnisse unserer Bemühungen anschaue, höre ich, wie sich Papa und Arthur im Studierzimmer auf der anderen Seite des Flurs freundlich unterhalten. Der Klang ihrer tiefen, irischen Stimmen und des heiteren Gesprächs erfreut mich jeden Tag aufs Neue.
    Doch meine Gedanken schweifen ab. Ich muss unwillkürlich über eine andere Erinnerung lächeln: Ein Gespräch, das sich neulich zwischen Arthur und mir entspann, als wir uns für das Zubettgehen vorbereiteten.
    Ich hatte gerade die Haarnadeln aus meiner Frisur gezogen, als Arthur hinter mich trat. Mit einem dunklen Glitzern in denAugen und tiefer Stimme sagte er: »Darf ich dir das Haar bürsten?«
    In den sechs Monaten, die wir verheiratet sind, hatte ich unzählige Male das Glück, von meinem Gatten das Haar gebürstet zu bekommen – und jedes Mal hatte dieses Vergnügen zu einem noch köstlicheren Abschluss geführt, sodass ich oft in spitzbübischer Absicht meine Haarbürste auf dem Bett liegen ließ und in freudiger Erwartung dem Augenblick entgegenfieberte, wenn sie dort entdeckt und dann eingesetzt werden würde. Als er nun die Frage stellte, begann mein Herz schneller zu schlagen. Ohne ein Wort setzte ich mich neben ihn aufs Bett und übergab ihm die Bürste.
    Er zog mir die Bürste mit sicheren, geschickten Strichen durch das lange Haar und raffte es mir mit zarten Fingern im Nacken zusammen. Diese Berührung ließ mir jedes Mal Wonneschauer über den Rücken rieseln. Während ich mich dem Luxus seiner liebenden Fürsorge hingab, sagte er mit leiser Stimme: »Mrs. Nicholls, jetzt, da Sie eine alte, verheiratete Frau sind, dürfte ich Ihnen eine Frage stellen, die mir schon lange auf dem Herzen brennt?«
    »Du darfst mich alles fragen, mein lieber Junge.«
    »Vor all den Jahren, als ich zum ersten Mal zum Abendessen hier war, was habe ich damals deiner Meinung nach gesagt, das dich so beleidigt hat?«
    »Willst du es wirklich wissen?«
    »Ja.«
    »Du wirst sicherlich denken, dass das alles Eitelkeit und Unsinn ist.«
    »Trotzdem.«
    Ich seufzte und errötete beim bloßen Gedanken. »Ich dachte, du hättest mich eine hässliche alte Jungfer genannt.«
    »Was?« (Das Bürsten hörte völlig auf.) »Hässlich? Nein!Das habe ich nie gesagt! Ich sagte ›gehässige‹. Und gehässig warst du auch, wütend wie eine Wildkatze hast du Gift und Galle gespuckt. Aber hässlich? Das hätte ich niemals auch nur gedacht.«
    »Hättest du nicht? Nicht einmal damals, Liebster?«
    »Niemals.« Arthur legte die Bürste zur Seite und drehte mich um, sodass ich ihm auf dem Bett gegenübersaß. »Kennst du mich inzwischen nicht gut genug, mein Liebling, um meine Gefühle für dich zu verstehen? Ich fand dich an jenem grauen, nassen, trübseligen Apriltag vor zehn Jahren wunderschön, als ich dich zum ersten Mal sah – als du die Haustür aufmachtest und dein Kleid, dein Gesicht und dein Haar mit Mehl eingestaubt waren. Deine Schönheit ist mit jedem Tag größer geworden, als ich die Frau, die du bist, besser kennen und verstehen lernte. Für mich bist du die schönste Frau auf Erden, Charlotte Nicholls, und das wirst du auch immer bleiben. Ich liebe dich.«
    Das Herz lachte mir im Leibe. Ich erwiderte den bewundernden Blick meines Mannes und fühlte mich zum ersten Mal

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