Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë
hinweg.
»Charlotte!«, rief Arthur zutiefst erschrocken, als er mich aufhob und in die Arme schloss. »Bist du verletzt?«
Ich war noch benommen von meinem Missgeschick, versicherte ihm aber, dass die Hufe mich nicht berührt hatten. Während der Fremdenführer die Pferde wieder einfing, drückte mich Arthur fest an seine Brust. Ich spürte, wie sein Herz an meiner Wange schlug. »Einen Augenblick lang habe ich gedacht, ich hätte dich verloren!«, murmelte er in mein Haar.
Ich erhob mein Gesicht zu meinem Gatten, stellte mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf den Mund. »Du wirst mich niemals verlieren. Ich liebe dich zu sehr, um dich zu verlassen.«
Als wir am 1. August nach mehr als einem Monat Abwesenheit wieder zu Hause eintrafen, wurden mein Gatte und ich von Besuchern von allen Enden der Pfarrgemeinde geradezu überflutet. Manche kamen von ziemlich weit her. Da wir der Gemeinde unsere Dankbarkeit für dieses herzliche Willkommen und all die guten Wünsche bezeigen wollten, beschlossen Arthur und ich, ein kleines Fest im Dorf zu geben. Wir luden alle Schüler und Lehrer der Tagesschule und der Sonntagsschule, dazu noch alle Sänger und Glockenläuter zu Tee und Abendessen ins Schulhaus ein.
Die Vorbereitungen für dieses Fest waren recht umfangreich. Als die Stunde näher rückte, waren an diesem warmen Augustabend die Tische im Schulzimmer und auf dem Hof bereits aufgestellt, Bänke herausgetragen, weiße Tafeltücheraufgedeckt und alles mit Blumen geschmückt. Und als das Essen (von mir zubereitet) endlich fertig war, erschienen zu unserer unermesslichen Verwunderung beinahe fünfhundert Menschen! Arthur strahlte vor Begeisterung und hieß unsere Gäste mit einer kurzen, freundlichen Rede willkommen, und die Gemeindeglieder ihrerseits brachten abwechselnd Trinksprüche auf Arthurs Rückkehr in die Gemeinde und auf unser eheliches Glück aus.
»Auf Arthur und Charlotte«, erklärte ein Mann – ein liebenswürdiger Bauer – mit erhobenem Glas und warmem Lächeln, »zwei der nettesten Menschen in der Gemeinde, die endlich so vernünftig waren zu heiraten. Mögen sie ein langes und glückliches Leben führen, und möge ihr Heim mit vielen Kindern gesegnet sein.« Der herzliche Applaus, der auf diesen Trinkspruch folgte, trieb mir die Röte auf die Wangen.
Mr. Ainley brachte meiner Meinung nach den rührendsten Trinkspruch aus – er war umso eindrucksvoller, da er sehr kurz war. Mit lauter und klarer Stimme sagte er schlicht: »Auf Arthur Bell Nicholls: einen wahren Christen und liebenswerten Gentleman. Auf Ihr Wohl, Sir.«
Während die Gemeinde ihm zustimmte, drückte ich Arthurs Hand und schaute mit leuchtenden Augen zu ihm auf. Ich dachte: einen solchen Menschen zu verdienen und für sich zu gewinnen, einen wahren Christen und liebenswerten Gentleman, das ist wesentlich besser als Reichtum oder Ruhm oder Macht. Wie glücklich konnte ich mich schätzen, die Liebe eines solchen Mannes zu besitzen!
Ich stellte schon bald fest, wie sehr sich mein Leben verändert hatte. Die Zeit – etwas, über das ich früher einmal reichlich verfügt hatte – schien mir nun sehr knapp zu sein. Als Ehefrau war ich kaum einen Augenblick untätig. Die französischenZeitungen, die ich früher zu lesen pflegte, türmten sich nun zu einem vernachlässigten Stapel auf. Mein Ehemann brauchte mich andauernd, rief nach mir, ich war ständig beschäftigt. Erst war es seltsam, doch dann fand ich es wunderbar und gut.
Die bloße Tatsache, dass mich jemand um sich haben wollte, war mir nach der Einsamkeit meiner vergangenen Jahre ein wahrer Segen. Arthur schien ein solches Vergnügen an meiner Gesellschaft zu empfinden, während er seinen vielen Pflichten nachging, dass ich es ihm kaum verwehren konnte. Und auch ich genoss all das Wirken und Tun sehr: Pfarrer zu bewirten, die uns besuchten, zu den Armen zu gehen, die Teegesellschaften der Gemeinde zu organisieren, in der Sonntagsschule zu unterrichten – genau die Pflichten, die ich auch als Pfarrerstochter zu erfüllen gehabt hatte –, all das gewann nun eine neue Bedeutung, da ich die Frau des Hilfspfarrers war. Die Ehe, stellte ich fest, lockte mich auf beste Weise aus der Reserve.
Gleichzeitig musste ich mir aber eingestehen, dass ich, obwohl ich sehr glücklich war, meine schöpferische Tätigkeit vermisste. Ich hatte kaum Gelegenheit, irgendetwas zu schreiben. Selbst mit diesem Tagebuch konnte ich mich nur ab und zu befassen, wann immer sich ein freier
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