Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë
bin, dann werde ich wissen, dass sie nicht verstanden haben, was ich geschrieben habe, und ich werde einfach nicht beachten, was sie gesagt haben.«
»Leichter gesagt als getan«, antwortete Emily mit einem Stirnrunzeln. »Kritiker können hart und grausam sein. Ich denke, mehr als ein Schriftsteller von großem Können ist unter der Beschämung schlechter Kritiken zusammengebrochen. Für Frauen scheint es besonders schwierig zu sein; nach allem, was ich gelesen habe, kämpfen besonders Autorinnen mit großen Vorurteilen.«
»Das habe ich auch bemerkt«, sagte ich. »Manchmal benutzen die Kritiker in ihren Besprechungen das Geschlecht oder die Persönlichkeit der Autorin als Waffe, um sie zu demütigen – oder um sie mit einer Schmeichelei zu belohnen, die kein wirkliches Lob ist.«
»Nun, ich weigere mich, selbst Gegenstand einer solchen Überprüfung zu werden«, erklärte Emily.
»Wenn Emily sich nicht beteiligen möchte, können wir, du und ich, immer noch einen Gedichtband veröffentlichen, Charlotte. Wir müssen ja unsere Namen nicht daruntersetzen.«
Bei diesem Vorschlag beschleunigte sich mein Puls. »Was für ein guter Gedanke. Ich wäre außerordentlich dankbar für den schützenden Schatten eines Pseudonyms.«
»Wir müssen nicht einmal unser Geschlecht verraten«, fügte Anne hinzu. »Wir könnten uns beide einen Künstlernamen zulegen. Das heißt, wenn du nicht der Meinung bist, dass unsere Gedichte eindeutig weiblichen Charakter haben.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand aus unserem Schreibstil oder dem Inhalt unserer Werke ablesen kann, welchen Geschlechts wir sind. Männer schreiben oft unter einem Frauennamen und umgekehrt.«
»Welchen Namen würdest du wählen?«, erkundigte sich Anne.
»Ich weiß es nicht«, antwortete ich mit wachsender Erregung, »aber …«
»Jetzt wählt ihr bereits Künstlernamen aus?«, unterbrach mich Emily gereizt. »Was wisst ihr schon darüber, wie ein Buch veröffentlicht wird? Nichts. Wie würden wir das überhaupt anfangen?«
Meine Gedanken klammerten sich allein an das eine Wort
wir
in Emilys letztem Satz, und ich lächelte. »Ich weiß es nicht. Ich werde wohl jemanden um Rat fragen müssen.«
Obwohl sich Emily noch einige Tage lang nicht offen mit dem Gedanken eines gemeinsamen Buchprojekts anfreunden konnte, lauschte sie doch meinen Gesprächen mit Anneüber dieses Thema mit großem Interesse und gab ab und zu Kommentare ab. Endlich, an einem kalten und nassen Oktoberabend, als alle anderen Mitglieder des Haushalts bereits zu Bett gegangen waren und Anne und ich am Esszimmertisch saßen und unsere Gedichte lasen, kam Emily ins Zimmer gestürmt.
»Nun gut«, sagte sie, zog einen Stuhl heran und warf ihre beiden Notizbücher auf den Tisch. »Ich beteilige mich an diesem Wahnsinn – unter einer Bedingung.«
»O Emily!«, rief Anne mit strahlenden Augen, »ich freue mich!«
»Was ist die Bedingung?«, fragte ich misstrauisch.
»Dass wir die gesamte Unternehmung geheim halten. Papa hat ohnehin schon mit so vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. Ich will ihm nicht noch mehr Sorgen bereiten und auch keine Hoffnungen bei ihm wecken, falls unser Unternehmen sich als Fehlschlag erweisen sollte. Wenn das Buch ein Erfolg wird, ist Geheimhaltung wichtig, damit wir unsere Anonymität wahren können.«
»Da stimme ich dir zu«, antwortete ich.
»Was ist mit Branwell?«, fragte Anne. »Dürfen wir es wenigstens ihm sagen? Er hat im Laufe der Jahre selbst wunderbare Gedichte geschrieben. Er möchte vielleicht auch einen Beitrag leisten.«
»Vermagst du dir wirklich vorzustellen, dass unser Bruder über eine solche Angelegenheit Schweigen bewahren könnte?«, erwiderte ich aufgebracht. »Und wann sollten wir ihm davon erzählen? Wenn er wütend im Haus herumtobt, weil ihm niemand einen Shilling geben will? Wenn er mit glasigen Augen auf dem Sofa liegt, zu elend, um ein Wort hervorzubringen? Oder wenn er auf den Knien rutscht und über seine geliebte Mrs. Robinson schluchzt wie ein Dreijähriger?«
»Es steht außer Frage, in letzter Zeit hat er sich schrecklich benommen«, stimmte Anne mit einem Seufzer zu. »Aber er ist nun einmal der Einzige von uns, der tatsächlich schon etwas veröffentlicht hat.«
»Ja«, sagte ich, »aber für unser Buch wird harte Arbeit notwendig sein. Sobald wir unsere Gedichte durchgesehen und noch einmal ins Reine geschrieben haben, müssen wir viele Briefe verschicken; sollten wir das Glück haben, einen Verleger
Weitere Kostenlose Bücher