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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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mir. Die Atmosphäre war angespannt und ungemütlich, und Papa merkte an: »Ihr seid heute sehr still, meine lieben Mädchen …« und »Bitte stellt die Platte nicht so heftig auf den Tisch, das Geräusch ist sehr laut und unangenehm.«
    Unmittelbar nach dieser Tortur sah ich Emily auf der Treppe vor dem Haus sitzen und gedankenverloren Keeper streicheln, der zu ihren Füßen lag. Ich nahm mir mein Schultertuch und ließ mich neben ihr nieder.
    Die Sonne war gerade untergegangen und hatte das bisschen Wärme, das sie dem Tag gegeben hatte, mitgenommen. Der Wind hatte sich noch nicht gelegt; es lief mir kalt über den Rücken, als ich mich neben meiner Schwester auf die kalten Steinstufen setzte. Die Dämmerung zog rasch herauf. Am herbstlichen Abendhimmel war nur eine einzige Wolke zu sehen. Sie spannte sich über den ganzen Horizont und hüllte die Kirche vor uns in grauen Dunst. Wir saßen eine Weile schweigend da, während ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Dann sagte ich schließlich: »Wir leben in einem Haus, Emily. Wir arbeiten in derselben Küche. Meine Zimmertür ist nurwenige Schritte von deiner entfernt. Du kannst nicht für immer wütend auf mich sein.«
    »Das wirst du schon sehen.«
    Ihre schroffen, abgehackten Worte trafen mich wie Pfeile. Ich zuckte zusammen, weigerte mich aber, mich davon verletzen zu lassen. »Darf ich dir einen Vorschlag machen, den du überdenken könntest?«
    »Spar dir die Mühe.«
    »Stell dir einen Augenblick lang vor, ich hätte eine Mappe voller Bilder, die ich insgeheim gezeichnet habe, Bilder, die ich für mein ganz persönliches Geheimnis halte und von denen ich deutlich gesagt habe, dass ich sie niemandem zeigen will …«
    »Bitte lass dieses alberne Gerede.«
    »Stell dir vor, du wärst in mein Zimmer gekommen und hättest gesehen, dass das Fenster auf war, die Mappe hätte offen auf dem Bett gelegen, und die Bilder wären auf dem Boden verstreut gewesen. Hättest du sie da liegen lassen und wärst seelenruhig weggegangen, oder hättest du sie aufgehoben?«
    Emily verdrehte die Augen. Endlich fragte sie widerwillig: »Weht der Wind?«
    »Ja.«
    »Droht Regen?«
    »Wir leben schließlich in Yorkshire.«
    »Sind Flossy und Keeper im Haus?«
    »Sie könnten jeden Augenblick hereingerannt kommen.«
    »Dann
denke
ich, ich würde sie schnell aufheben.«
    »Obwohl ich es
ausdrücklich verboten
habe, dass jemand sie auch nur berührt?«
    »Trotzdem würde ich mir Sorgen machen, dass sie vielleicht beschmutzt würden. Aber da ich weiß, dass es sehr
persönliche
Bilder sind, würde ich
sehr sorgfältig darauf achten, sie nicht anzuschauen

    »Ein bewundernswerter Vorsatz. Aber ist es nicht möglich, dass – trotz deiner besten Absichten – dein Blick kurz aus Versehen auf eines der Bilder fällt?«
    »Ein kurzer Blick, mehr nicht.«
    »Und was wäre, wenn du bei diesem kurzen Blick ein Kunstwerk von solcher Pracht und von so großartiger Schönheit entdeckst, wie du es nie zuvor wahrgenommen hast? Würdest du dann deinen Blick abwenden? Würdest du die Augen zukneifen? Oder würdest du dich nicht vielmehr beinahe gezwungen fühlen, das Bild anzuschauen, deine Augen daran und an all den anderen zu weiden, nur weil sie dir ein solches Vergnügen bereiten, weil du dankbar für die Gelegenheit bist, das Genie zu bewundern, das dahintersteckt?«
    Emily seufzte und warf die Hände in die Höhe. »Gut! Gut! Aus dir wäre ein hervorragender Rechtsanwalt geworden, Charlotte! Ich verzeihe dir. So! Geht’s dir jetzt besser?«
    Zur Antwort seufzte ich erleichtert. »Ja.« Eine Windbö wehte mit neuer Kraft. Ich rückte auf der Stufe näher an Emily heran, legte den Arm um sie und breitete mein Schultertuch um uns beide, zog sie nah an mich. »Was hast du dir nur dabei gedacht, ohne deinen Schal hier draußen zu sitzen?«
    Sie schmiegte ihren Kopf an meinen. »Es tut mir leid, dass ich dich geohrfeigt habe.«
    »Und mir tut es leid, dass ich ohne deine Erlaubnis deine Gedichte gelesen habe.«
    So saßen wir einige Minuten, hielten einander zitternd umarmt, während wir zusahen, wie der düstere, mondlose, sternenlose graue Himmel allmählich schwarz wurde. Nachdem die Harmonie zwischen uns wiederhergestellt war, erlaubte ich meinen Gedanken, zu einem anderen Thema abzuschweifen,das mir den ganzen Tag durch den Kopf gegangen war, seit ich jene Seiten entdeckt hatte. War es noch zu früh?, überlegte ich. Würde ich wagen, es anzusprechen?
    Ich wagte es. »Sie sollten

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