Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan (German Edition)
stürzte sie sich wieder in die allgemeine Unterhaltung und schien weder durch das ›Wie Sie wollen‹ verletzt, noch auch neugierig darauf zu sein, was sich aus dieser Unterredung ergeben würde. Die Fürstin blieb etwa eine Stunde lang auf dem Sofa beim Kamin sitzen, und zwar in der nachlässigen, hingegossenen Haltung, die Guérin Dido verliehen hat; sie lauschte mit der Aufmerksamkeit einer gedankenversunkenen Frau und sah Daniel kurze Augenblicke lang an, ohne die Bewunderung zu verbergen, die jedoch die Grenzen nicht überschritt. Sie entschlüpfte, als der Wagen vorgefahren war, nachdem sie mit der Marquise einen Händedruck und mit Frau von Montcornet ein Nicken ausgetauscht hatte.
Der Abend verstrich, ohne daß von der Fürstin noch ferner die Rede gewesen wäre. Man nutzte die Begeisterung aus, in der d'Arthez sich befand, denn er entfaltete alle Schätze seines Geistes. Freilich hatte er in Rastignac und Blondet zwei an Feinheit des Geistes und Umfang des Verstandes erstklassige Helfer. Die beiden Frauen galten seit langem als die geistreichsten der hohen Gesellschaft. Es war also für diese fünf Menschen, die sich für gewöhnlich in der Welt, in den Salons und in der Politik in acht zu nehmen hatten, ein Rasttag in der Oase, ein seltenes und hochgeschätztes Glück. Es gibt Wesen, die das Vorrecht haben, unter den Menschen dazustehen wie jene wohltätigen Sterne, deren Licht die Geister erleuchtet und deren Strahlen die Herzen wärmt. D'Arthez gehörte zu diesen schönen Seelen. Ein Schriftsteller, der auf seiner Höhe steht, gewöhnt sich daran, alles zu denken, und vergißt in der Welt bisweilen, daß man nicht alles sagen darf. Es ist ihm unmöglich, die Zurückhaltung der Leute zu bewahren, die beständig in dieser Welt leben. Aber da seine Seitensprünge fast immer den Stempel der Originalität tragen, so beklagt sich niemand über sie. Die bei allen Genies so seltene Würze, die Jugendlichkeit voller Einfalt, die d'Arthez eine so vornehme Originalität verleiht, schuf diesen Abend zu einer Köstlichkeit um. Er ging mit dem Baron von Rastignac, der, als er ihn nach Hause brachte, ganz von selber auf die Fürstin zu sprechen kam, indem er ihn fragte, wie er sie fände.
»Michel hatte recht, wenn er sie liebte,« erwiderte d'Arthez; »sie ist eine außerordentliche Frau.« »Sehr außerordentlich,« versetzte Rastignac spöttisch. »Ich erkenne an Ihrem Tonfall, daß Sie sie bereits lieben; ehe drei Tage vergehen, werden Sie bei ihr sein, und ich bin schon zu lange Pariser Lebemann, um nicht zu wissen, was zwischen Ihnen vorgehen wird. Nun, mein lieber d'Arthez, ich flehe Sie an, lassen Sie sich zu keiner Preisgabe Ihrer Interessen hinreißen. Lieben Sie die Fürstin, wenn Sie die Liebe zu ihr im Herzen fühlen; aber denken Sie an Ihr Vermögen. Sie hat niemals, von wem es auch sei, zwei Heller erbeten oder angenommen; dazu ist sie zu sehr d'Uxelles und Cadignan; aber meines Wissens hat sie, abgesehen von ihrem eigenen Vermögen, das sehr beträchtlich war, mehrere Millionen vergeuden lassen. Wie? Wozu? Auf welche Weise? Das weiß niemand, sie weiß es selber nicht einmal. Ich habe es schon vor dreizehn Jahren erlebt, wie sie in zwanzig Monaten das Vermögen eines reizenden Jungen und das eines alten Notars dazu verschlang.« »Vor dreizehn Jahren?« sagte d'Arthez; »wie alt ist sie denn?« »Haben Sie denn bei Tisch nicht ihren Sohn gesehen, den Herzog von Maufrigneuse,« erwiderte Rastignac lachend, »einen jungen Mann von neunzehn Jahren? Neunzehn und siebzehn machen...« »Sechsunddreißig!« rief der Schriftsteller erstaunt; »ich hielt sie für zwanzig!« »Das wird sie gelten lassen,« sagte Rastignac; »aber seien Sie darüber unbesorgt; für Sie wird sie immer zwanzig Jahre alt bleiben. Sie wandeln im Reich der Phantasie. – Guten Abend, da sind Sie ja zu Hause,« sagte der Baron, als er sah, daß sein Wagen in die Rue de Bellefond einbog, wo d'Arthez ein hübsches Haus für sich bewohnte. »Wir sehen uns im Laufe der Woche bei Fräulein Des Touches.«
D'Arthez ließ die Liebe in sein Herz eindringen, wie unser Onkel Tobias es tut, nämlich ohne den geringsten Widerstand zu leisten; so war ihr Weg der der kritiklosen Anbetung, der ausschließlichen Bewunderung. Die Fürstin, dieses schöne Geschöpf, eine der bemerkenswertesten Schöpfungen des ungeheuerlichen Paris, wo im Guten wie im Schlimmen alles möglich ist, wurde, wie abgenutzt das Wort auch durch das Unglück der Zeit geworden
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