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Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan (German Edition)

Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan (German Edition)

Titel: Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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erreichten Daniels Herz. Es handelte sich dabei ja nicht um den berühmten Schriftsteller; diese Frau suchte sich vor einem Toten zu rechtfertigen. Sie konnte verleumdet worden sein; sie wollte wissen, ob sie auch nichts in den Augen dessen besudelt hatte, der sie einst liebte. War er mit all seinen Illusionen gestorben?
    »Michel«, erwiderte d'Arthez, »war einer jener Männer, die bedingungslos lieben; und wenn sie falsch wählen, so können sie darunter leiden, ohne jemals auf die zu verzichten, die sie erwählten.« »Und wurde ich so geliebt?« rief sie mit der Miene verzückter Seligkeit. »Ja, gnädige Frau.« »So habe ich sein Glück gemacht?« »Vier Jahre lang.« »Dergleichen kann keine Frau hören, ohne eine stolze Befriedigung zu empfinden,« sagte sie, indem sie d'Arthez in einer Bewegung voll schamhafter Verwirrung ihr sanftes und edles Antlitz zuwandte.
    Es gehört zu den klügsten Kunstgriffen dieser Komödiantinnen, daß sie ihr Wesen verschleiern, wenn die Worte zu ausdrucksvoll werden, und daß sie, sobald die Rede Grenzen findet, die Augen sprechen lassen. Diese geschickten Dissonanzen, die sie in die Musik ihrer wahren oder falschen Liebe einflechten, haben eine unbesiegliche Verführungskraft.
    »Hat man nicht,« fuhr sie fort, indem sie noch einmal ihre Stimme senkte und nachdem sie sich ihrer Wirkung vergewissert hatte, »hat man nicht sein Schicksal erfüllt, wenn man einen großen Mann ohne ein Verbrechen glücklich gemacht hat?« »Hat er Ihnen nie geschrieben?« »Ja, aber ich wollte dessen ganz sicher sein, denn glauben Sie mir, er hat sich nicht getäuscht, wenn er mich so hoch stellte.«
    Die Frauen wissen ihren Worten eine ganz besondere Reinheit zu geben; sie teilen ihnen irgendein Zittern mit, das den Sinn der Gedanken dehnt und ihnen Tiefe leiht; wenn ihr entzückter Zuhörer sich nicht später Rechenschaft darüber ablegt, was sie gesagt haben, so ist das Ziel vollkommen erreicht, und ebendas ist ja das eigentliche Wesen der Beredsamkeit. Die Fürstin hätte in diesem Augenblick die Krone Frankreichs tragen können, ohne daß darum ihre Stirn imposanter gewesen wäre, als sie es unter dem schönen Diadem ihrer wie zu einem Turm in Zöpfen aufgesteckten und mit ihrem hübschen Heidekraut gezierten Haare war. Wie der Heiland über die Wogen des Sees Tiberias dahinschritt, schien diese Frau auf den Fluten der Verleumdung dahinzuschreiten, eingehüllt in das Linnen dieser Liebe, wie ein Engel von seinem Heiligenschein umgeben ist. Nichts deutete auf eine Notwendigkeit hin, so zu sein, noch auch auf den Wunsch, groß oder liebreich zu erscheinen; sie war einfach und ruhig. Ein Lebender hätte der Fürstin niemals die Dienste leisten können, die ihr der Tote leistete. D'Arthez, ein einsamer Arbeiter, dem der Verkehr mit der Welt fremd war und den das Studium mit seinen schützenden Schleiern umhüllt hatte, ließ sich von dem Tonfall und den Worten täuschen. Er stand unter dem Zauber dieser erlesenen Lebensform, er bewunderte die vollkommene Schönheit, die vom Unglück gereift und in der Zurückgezogenheit zur Ruhe gekommen war; er betete die so seltene Vereinigung eines feinen Geistes und einer schönen Seele an; kurz, er wünschte das Erbe Michel Chrestiens anzutreten. Der Anfang dieser Leidenschaft war wie bei den meisten tiefen Denkern eine Idee. Während er die Fürstin aus größerer Nähe sah, als es möglich gewesen war, als er damals seinen Freund in seinem tollen Lauf begleitete, während er die Form ihres Kopfes, die Anordnung ihrer so sanften Züge, ihren Wuchs, ihren Fuß, ihre so fein modellierten Hände studierte, fiel ihm das überraschende Phänomen des zweiten Gesichts auf, das der von der Liebe begeisterte Mensch in sich selber findet ... Mit welchem Scharfblick hatte nicht Michel Chrestien in diesem Herzen, in dieser von den Feuern der Liebe erhellten Seele gelesen! Der Bundesschwärmer war also auch erraten worden! Er wäre zweifelsohne glücklich geworden! So hatte denn die Fürstin in Daniels Augen einen großen Zauber: sie war von einer Aureole der Poesie umgeben. Während des Diners entsann sich der Schriftsteller der verzweifelten Ergüsse des Republikaners und seiner Hoffnungen, als er sich für geliebt hielt; seine Gedichte, so schön, wie sie eben die wahre Empfindung diktiert, hatte er einzig um dieser Frau willen gesungen. Ohne es zu wissen, stand Daniel im Begriff, diese Vorbereitungen, die er dem Zufall verdankte, auszunutzen. Es ist selten, daß

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