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Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan (German Edition)

Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan (German Edition)

Titel: Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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ist, zum erträumten Engel. Um die plötzliche Verwandlung des erlauchten Schriftstellers ganz zu verstehen, müßte man wissen, wieviel Unschuld die Einsamkeit und die beständige Arbeit dem Herzen lassen; wieviel Begierden und Phantasien die Liebe, die zum Bedürfnis gemacht wird und einer unedlen Frau gegenüber peinlich geworden ist, im Herzen entwickelt, wieviel Neue sie erregt und wieviel göttliche Empfindungen sie in den höchsten Regionen der Seele weckt. D'Arthez war wirklich noch das Kind, noch der Schüler, den der Takt der Fürstin genau erraten hatte. Eine sehr ähnliche Erleuchtung hatte sich bei der schönen Diana vollzogen, Sie war also endlich jenem überlegenen Manne begegnet, nach dem alle Frauen sich sehnen, und wäre es nur, um mit ihm zu spielen: der Macht, der sie zu gehorchen bereit sind, und wäre es nur um des Vergnügens willen, sie doch auch zu beherrschen; sie fand endlich die Größe des Geistes verbunden mit der Naivität des Herzens und der Unerfahrenheit in der Leidenschaft; und dann sah sie zu ihrem unerhörten Glück all diese Reichtümer in einem Äußern vereinigt, das ihr gefiel. D'Arthez schien ihr schön zu sein; vielleicht war er es. Obwohl er dicht vor dem ernsten Alter des Mannes stand, in seinem achtunddreißigsten Jahre, bewahrte er doch noch jene Jugendblüte, die er seinem nüchternen und keuschen Leben verdankte; und gleich allen sitzenden Menschen, gleich den Staatsmännern zeigte er eine mäßige Beleibtheit. In seiner frühesten Jugend hatte er eine unbestimmte Ähnlichkeit mit Bonaparte als General gehabt. Diese Ähnlichkeit bestand noch immer, soweit ein Mensch mit schwarzen Augen und dichtem dunkelbraunen Haar jenem Herrscher mit den blauen Augen und dem hellbraunen Haar gleichen kann. Aber der brennende und edle Ehrgeiz, der ehemals in Daniels Augen gelegen hatte, war durch den Erfolg gleichsam milde geworden. Die Gedanken, mit denen seine Stirn schwanger ging, hatten geblüht, die hohlen Linien seines Gesichts hatten sich ausgefüllt. Da, wo in seiner Jugend das Elend die braunen Töne jener Temperamente hingestrichen hatte, die sich hartnäckig anspannen, um zermalmende und dauernde Kämpfe zu ertragen – da hatte das Wohlsein goldene Töne ausgebreitet. Wenn man sich die schönen Gesichter der antiken Philosophen sorgfältig ansieht, so wird man in ihnen stets jene Abweichungen vom vollkommenen Typus des menschlichen Gesichts finden, denen jede Physiognomie ihre Originalität verdankt; und diese Abweichungen werden korrigiert durch die Gewohnheit des Nachdenkens, durch die beständige Ruhe, die für geistige Arbeit notwendig ist. Die durchwühltesten Gesichter, wie zum Beispiel das des Sokrates, erhalten auf die Dauer eine fast göttliche Heiterkeit. Mit der edlen Einfalt, die seinen Kaiserkopf zierte, verband d'Arthez den Ausdruck der Naivität, die Natürlichkeit der Kinder und ein rührendes Wohlwollen. Jene Höflichkeit, die stets von Falschheit erfüllt ist, kannte er nicht – die Höflichkeit, durch die in unserer Welt die besterzogenen und liebenswürdigsten Menschen Eigenschaften vortäuschen, die ihnen oft fehlen und deren Mangel die verletzt, die erkennen, daß sie sich haben täuschen lassen. Er konnte vermöge seiner Isolierung ein paar gesellschaftliche Gesetze verletzen; aber da er niemals wirklich Anstoß erregte, so machte dieser Duft der Wildheit die Liebenswürdigkeit, die hochbegabten Männern eigen ist, noch anmutiger; sie verstehen, ihre Überlegenheit zu Hause abzulegen und zur Stufe der Gesellschaft hinabzusteigen, um nach Art Heinrichs IV. den Kindern ihren Rücken und den Tröpfen ihren Geist darzubieten.
    Die Fürstin stellte, als sie nach Hause kam, ebensowenig Erörterungen mit sich selber an, wie d'Arthez sich gegen den Zauber wehrte, mit dem sie ihn gefangen hatte. Alles war für sie entschieden: sie liebte mit all ihrem Wissen und ihrer Unbewußtheit. Wenn sie sich eine Frage stellte, so war es die, ob sie ein so großes Glück verdiente und was sie dem Himmel geleistet hatte, daß er ihr einen solchen Engel sandte. Sie wollte dieser Liebe würdig werden, wollte sie dauernd und sich selber auf ewig zu eigen machen, um ihr früheres Leben, das einer hübschen Frau, in dem Paradies enden zu lassen, das sie vor sich sah. An Widerstand, Neckerei oder Koketterie dachte sie nicht einmal. Sie dachte an ganz andere Dinge! Sie hatte die Größe der genialen Männer begriffen und erraten, daß sie auserwählte Frauen keinen

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