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Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan (German Edition)

Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan (German Edition)

Titel: Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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gewöhnlichen Gesetzen unterwerfen. Daher hatte sie sich auch in jener raschen Erkenntnis, wie sie weiblichen großen Geistern eigen ist, vorgenommen, sich der ersten Begierde gegenüber schwach zu zeigen. Sie kannte nach diesem ersten Zusammentreffen Daniels Charakter gut genug, um zu vermuten, daß diese Begierde nicht eher ausgesprochen werden würde, als bis sie Zeit gehabt hätte, sich zu dem zu machen, was sie in den Augen dieses herrlichen Liebhabers sein wollte und sein mußte.
    Hier beginnt nun eine jener unbekannten Komödien, die sich im Innern des Bewußtseins zwischen zwei Wesen abspielen, von denen das eine sich vom andern täuschen läßt und die die Grenzen der Unnatur zurückschieben; eins jener düsteren und zugleich komischen Dramen, neben denen das Drama von Tartüffe eine Nichtigkeit ist; aber sie gehören nicht etwa dem Wirkungsbereich der Bühne an; nein, obwohl alles an ihnen außerordentlich ist, sind sie selber doch ganz natürlich, herkömmlich und durch die Notwendigkeit gerechtfertigt; man müßte dieses furchtbare Drama das Gegenspiel des Lasters nennen. Die Fürstin ließ sich zunächst sämtliche Werke von d'Arthez holen, denn sie hatte noch kein Wort von ihm gelesen; und trotzdem hatte sie zwanzig Minuten lang, ohne sich zu vergreifen, ihm ihre lobreiche Anerkennung ausgesprochen. Sie las zunächst alles. Dann wollte sie seine Bücher mit dem Besten vergleichen, was die zeitgenössische Literatur hervorbrachte. An dem Tage, als d'Arthez sie besuchte, hatte sie sich geistig übernommen. Während sie diesen Besuch erwartete, hatte sie jeden Tag ausgesuchte Toilette gemacht – eine Toilette, die einen Gedanken ausdrückt und diesem Gedanken durch die Augen Eingang verschafft, ohne daß man weiß wie und weshalb. Sie bot den Blicken eine harmonische Zusammenstellung grauer Farben dar, eine Art Halbtrauer, anmutig und voll Hingebung, die Kleidung einer Frau, die nur noch durch ein paar natürliche Bande, vielleicht durch ihr Kind, ans Leben gefesselt wurde und die sich darin langweilte. Sie verriet einen eleganten Ekel, der jedoch nicht bis zum Selbstmord ging; sie lebte eben ihre Zeit im irdischen Bagno ab. Sie empfing d'Arthez wie eine Frau die ihn erwartete und als wäre er schon hundertmal bei ihr gewesen; sie erwies ihm die Ehre, ihn wie einen alten Bekannten zu behandeln; sie machte es ihm durch eine einzige Geste behaglich, indem sie nämlich nach dem Sofa wies, damit er sich setzte, während sie einen begonnenen Brief zu Ende schrieb. Die Unterhaltung begann auf die allergewöhnlichste Art: das Wetter, das Ministerium, de Marsays Krankheit, die Hoffnungen der Legitimisten. D'Arthez war Absolutist; die Fürstin mußte die Anschauungen eines Mannes kennen, der in der Kammer unter den fünfzehn oder zwanzig Leuten saß, die die legitimistische Partei vertraten; sie fand Gelegenheit, ihm zu erzählen, wie sie de Marsay an der Nase herumgeführt hatte; dann lenkte sie Daniels Aufmerksamkeit durch einen Übergang, den ihr die Ergebenheit des Fürsten von Cadignan für die königliche Familie und für Madame lieferte, auf den Fürsten.
    »Er hat wenigstens das eine für sich, daß er seine Herren liebt und ihnen ergeben ist,« sagte sie. »Sein öffentlicher Charakter tröstet mich über all die Leiden hinweg, die mir sein privater Charakter bereitet hat. Denn«, fuhr sie fort, indem sie den Fürsten geschickt fallen ließ, »haben Sie noch nicht bemerkt, Sie, der Sie alles wissen, daß die Männer zwei Charaktere haben? Sie haben den einen für ihr Heim, für ihre Frauen, für ihr geheimes Leben, und das ist der wahre; da gibt es keine Maske mehr, keine Verstellung; da machen sie sich nicht die Mühe, zu lügen; sie sind, was sie sind, und oft sind sie grauenhaft. Die Welt aber, die andern, die Salons, der Hof, der Herrscher und die Politik sehen sie als groß, edel und adlig, in ihrem mit Tugenden bestickten Kostüm, mit schönen Worten geziert und ausgestattet mit ausgezeichneten Eigenschaften. Was für eine grauenhafte Komik! Und man erstaunt bisweilen über das Lächeln gewisser Frauen, über ihr überlegenes Wesen ihren Männern gegenüber, über ihre Gleichgültigkeit!...«
    Sie ließ ihre Hand, ohne den Satz zu beenden, an der Lehne ihres Sessels entlang hinunterfallen, und diese Geste ergänzte ihre Worte wundervoll. Da sie sah, daß d'Arthez damit beschäftigt war, ihre biegsame Gestalt zu beobachten, die sich so hübsch in ihren weichen Sessel schmiegte, daß er das Spiel

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