Die Geheimnisse der Patricia Vanhelsing
verlassenen Dorf erschienen war. Onkel Frederiks Gesicht. In diesem Moment sah ich es erneut. Es lächelte, und ich erschrak, als ich erkannte, dass mich dieses Traumgespinst geradezu anblickte.
Mein Puls beschleunigte sich.
Was willst du mir sagen, Onkel Frederik?, schoss es mir durch den Kopf. Ist das eine Botschaft? Wo bist du? Wo warst du all die Jahre?
Ich schalt mich eine Närrin.
Er kann dich nicht hören!, wurde mir klar.
Und doch war ich überzeugt davon, für einen kurzen Moment so etwas wie Kontakt zu ihm gehabt zu haben.
Damals, als ich zum ersten Mal in den dampfenden Dschungel Amazoniens aufgebrochen war, wäre ich solchen Gedanken mit großer Skepsis begegnet. Selbst meine Gabe war mir damals suspekt gewesen und ich hätte in einem Fall wie diesem liebend gern nach jeder auch nur halbwegs plausiblen Erklärung gegriffen, die ohne die Annahme auskam, dass es übernatürliche Kräfte gibt.
Aber inzwischen dachte ich in diesen Dingen anders.
Ich hatte einfach zu viel erlebt, um noch an der Existenz des Unerklärlichen zweifeln zu können.
In den frühen Morgenstunden war es endlich kühl genug, um schlafen zu können. Zumindest galt das für die anderen an Bord.
Ich lag noch eine ganze Weile wach an Toms Seite.
Immer wieder musste ich über Onkel Frederik nachdenken. Mir fielen die fehlenden Seiten ein, die sein damaliger Kollege Allan Porter aus der Kladde mit seinen Aufzeichnungen herausgerissen hatte.
Gut möglich, dass diese Seiten der Schlüssel zu dem Rätsel waren, dass das Verschwinden meines Großonkels bis heute umgab.
Frederik Vanhelsing und Allan Porter waren damals, vor gut zwanzig Jahren, in dieser Gegend unterwegs gewesen, das stand fest. Und ich hielt es inzwischen für gut möglich, dass es mit dem HAUS DER GÖTTER zusammenhing, diesem gleichermaßen phantastischen wie angsteinflößenden Gebäude einer uralten , nichtmenschlichen Kultur.
Ich schloss die Augen, versuchte verzweifelt Schlaf zu finden, was mir schließlich auch gelang. Ein traumloser Schlaf der Erschöpfung war es. Und am nächsten Morgen konnte mich zuerst noch nicht einmal der Krach aufwecken, den die Maschinen der AMAZONAS QUEEN verursachten.
*
Am frühen Nachmittag erreichten wir die Stelle, die auf Eduardos Karten markiert gewesen war. Bis dahin war es immer schwerer geworden voran zu kommen. Immer wieder war die AMAZONAS QUEEN durch Schlingpflanzen aufgehalten worden, die sich in die Schrauben hineindrehten.
Jetzt ankerte das Schiff in der Flussmitte.
Sergio blieb an Bord.
Wir anderen gingen mit ausreichend Proviant sowie einigen Revolvern und Macheten an Land. Mit einem der Beiboote der AMAZONAS QUEEN fuhren wir an eine geeignete Uferstelle, die flussaufwärts, hinter der nächsten Biegung lag. Das Boot verbargen wir am Ufer. Schließlich legten wir keinen Wert darauf, Baiano und seine Leute allzu nah im Nacken zu haben.
Sobald die nämlich die AMAZONAS QUEEN vor Anker liegen sahen, konnten sie sich denken, dass wir irgendwo an Land gegangen waren.
Diese Männer waren ganz sicher geübter darin, sich durch den Dschungel durchzuschlagen, als wir.
Saranho ging voran und schlug uns mit seiner langen Machete eine Art notdürftiger Schneise durch das üppige Grün.
Schwere, faulige Gerüche betäubten einem beinahe die Nase, überall wimmelte es nur so vor Leben. Eine Unzahl von Geräuschen bildete einen unheimlichen, gespenstischen Chor.
Äste knackten, Blätter raschelten. Hin und wieder glaubte man Schritte hören zu können und man war sich nie ganz sicher, nicht vielleicht doch Opfer der eigenen Einbildungskraft gewesen zu sein.
Quälend langsam ging es vorwärts.
Und manchmal war ich mir gar nicht so sicher, ob wir nicht im Kreis liefen. Denn inmitten dieses wuchernden Dschungels konnte man sehr schnell völlig die Orientierung verlieren.
Aber Eduardo hatte einen Kompass und dessen Anzeige war unbestechlich.
Ich verlor das Gefühl für Zeit. Und jeder Gedanke bedeutete unter den klimatischen Bedingungen dieses Dschungels schon eine ungeheure Anstrengung. Die Kleider klebten uns am Leib.
Irgendwann stolperte ich plötzlich. Mein Fuß hatte sich in einer über den Boden wuchernden Schlingpflanze verfangen.
Tom hielt mich fest.
Unsere Blicke begegneten sich.
"Es kann nicht mehr weit sein", flüsterte ich.
Tom atmete tief durch.
"Du musst es ja wissen!", meinte er. "Schließlich warst du ja schon einmal hier." Ein matten Lächeln flog über sein Gesicht. Er strich mir eine
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