Die Geheimnisse der Therapeuten
Richtige, ich könnte mich ausruhen und mich vergnügen. Ich trat mein Psychiatriepraktikum also sehr gelassen an und fand die Erfahrung überraschenderweise und wider allen Erwartens sehr spannend. Der Mentor war allerdings auch ausgezeichnet. Dennoch war ich selber verwundert über mein Interesse an einem Fachgebiet, an das ich bisher nie gedacht hatte. Doch ich blieb stur: »Nein, du willst Internist werden. Bleib dabei.«
Als ich einige Jahre später Assistenzarzt wurde, begann ich mit einem Praktikum in der Endokrinologie. Statt mich wie die anderen Assistenzärzte für Hormone, die Funktion der Hypophyse oder der Nebennieren und dieses im Grunde sehr technische Spezialgebiet zu begeistern, interessierten mich zu meinem Erstaunen die jungen Patientinnen, die an psychisch bedingter Magersucht litten. Die anderen Ãrzte sagten: »Das fällt in die Psychologie; das interessiert mich nicht«, während mich diese Fälle total faszinierten.
Die Angstpatienten interessierten mich ganz besonders
Als nächstes Praktikum wählte ich die Kardiologie. Meine Kollegen waren begeistert von der Behandlung von Infarkten, weil sie den Eindruck hatten, Leben zu retten, was im Ãbrigen kein bloÃer Eindruck war. Doch sie reagierten verärgert auf Angstpatienten, die Herzrhythmusstörungen hatten und groÃe Herzuntersuchungen machen lieÃen, obwohl sie in den Augen meiner Kollegen kerngesund waren. »Das sind Angstpatienten, mit denen verplempert man nur seine Zeit«, sagten sie. Doch mich interessierten diese Angstpatienten ganz besonders, und ich muss gestehen, dass mein Interesse an der Apparatemedizin allmählich erlahmte.
Mit 25 Jahren hatte ich mein Studium fast beendet. Ich übernahm die Vertretung für einen praktischen Arzt, um mich mit den Krankheiten in ihrer Gesamtheit vertraut zu machen. Diese Erfahrung bestätigte mir erneut, dass Psychologie und Psychiatrie die Gebiete waren, die mich reizten. Ich absolvierte also noch einmal eine Assistenzzeit in Psychiatrie, um Psychiater zu werden.
Welche Mittel können helfen, den eigenen Weg zu finden?
Ich glaube an eine gewisse geistige Offenheit, an das Unvorhergesehene, die Ãberraschung, den Mut. Man muss sich von ausgetretenen Pfaden verabschieden können. Wenn Ihr Weg vollkommen vorgezeichnet erscheint, wird Ihnen manchmal das Unvorhergesehene helfen, Ihr Leben zu ändern. VerschlieÃen Sie sich nicht gegen das Unerwartete.
Zögern Sie nicht, die Chancen zu ergreifen, die sich Ihnen bieten. So war es bei mir.
Bereit sein, einen neuen Weg einzuschlagen
Ich machte die gleiche Art von Erfahrung noch einmal einige Jahre später. Ich hatte gerade Christophe André kennengelernt, der federführend eine Reihe mit psychologischen Werken herausgab: »Frédéric«, sagte er mir, »könntest du nicht ein Buch über Selbstakzeptanz für den Verlag Odile Jacob schreiben?«
Dieser Vorschlag verblüffte mich! Ich machte Christophe André darauf aufmerksam, dass ich in Französisch im Abitur eine Vier minus gehabt hatte und trotz einer gewissen Redebegabung nur über ein erbärmliches Schreibtalent verfügte. Ich bat mir einige Tage Bedenkzeit aus und sagte schlieÃlich zu.
Welcher Faktor kann in einer neuen Situation bei der Entscheidungsfindung hilfreich sein?
Statt sich für inkompetent zu halten, wenn man Ihnen etwas vorschlägt, ist es nützlich, sich die Begleitumstände des Vorschlags und die Gründe desjenigen anzuschauen, der Ihnen den Vorschlag macht.
Was mir im vorliegenden Beispiel half, ins kalte Wasser zu springen, war meine Achtung vor Christophe André, dessen Bücher ich kannte, und vor dem Verlag Odile Jacob, der im Ruf stand, qualitativ hochwertige Bücher herauszubringen, sowie Christophes Beharrlichkeit, der sich die Mühe gemacht hatte, sich mit meiner Arbeit auseinanderzusetzen. Hinzu kam, dass ich schon älter war, nur geringe Angst vor einem möglichen Misserfolg hatte und mir bereits die Devise der Moslems zu eigen gemacht hatte: Inschallah.
Wenn jemand, den Sie schätzen â wie es für mich im Falle Christophe Andrés galt â, Ihnen einen Vorschlag macht, warum nicht auf dieses Angebot hören, auch wenn Sie Selbstzweifel haben?
Gute Gründe, um sich auf ein unerwartetes Projekt einzulassen
Wenn Sie sich tendenziell fürchten, sich auf ein neues Abenteuer einzulassen, und dazu neigen, an sich zu
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