Die Geheimnisse der Therapeuten
an den Tagen davor gemacht hatte und was für den nächsten Tag vorgesehen war, genügte, um wieder ein Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern, bevor er einschlief.
Erwachsene vergessen leicht, wie schmerzhaft und schwierig die Welt von Kindern sein kann. Die Emotion selbst ist eine Schwierigkeit, mit der Kinder umgehen müssen. Sie müssen sie verstehen, akzeptieren, in den Griff bekommen und sich an sie gewöhnen, statt vor ihr Angst zu haben. Dazu müssen sie erleben, dass die Emotion ihrer Eltern gelassen und zuversichtlich ist und Geborgenheit ausstrahlt.
Vielleicht ist Erfahrung notwendig, um Therapeut zu sein. Vielleicht muss man gelebt haben, um die anderen zu hören und zu verstehen und ihnen dann in ihrem Leid zu helfen.
Vor allem ist es wichtig, in Kontakt mit den eigenen Emotionen und der Erinnerung an die eigenen Emotionen zu bleiben.
Teil IV â Weitergehen
Man nennt es gewöhnlich persönliche Entwicklung: all diese Bemühungen nicht um die Gesundheit, sondern um ein sanfteres, gelasseneres, glücklicheres, helleres, kreativeresLeben im Innern, während man trotzdem weiterhin wirklich lebt, das heiÃt, sich weiter an der Welt reibt. Manchmal ist das einfach, manchmal nicht. Wichtig ist, dass man sich jedes Mal hinterher sagen kann: Ich habe gelernt, ich bin daran gewachsen â¦
21 â Frédéric Fanget
Wohin gehst du? Den eigenen Werten folgen
Sind Psychotherapeuten Menschen wie ich und du? Ich habe in der Sprechstunde manchmal den Eindruck, dass meine Patienten mich für einen Ãbermenschen halten. Angesichts der Fragen, die sie mir stellen, der gespannten Erwartung meiner Reaktion und angesichts dessen, wie sie auf meine Empfehlungen lauschen und auf mein Verhalten oder mein Stirnrunzeln achten, fühle ich mich manchmal auf ein Podest gestellt. Ich müsste ein perfektes Leben führen und vor allem auf alle Fragen sämtliche richtigen Antworten kennen. Der Psychologe weià alles, versteht alles, hat auf alles eine Antwort. Bis auf eine Kleinigkeit: Der Psychologe ist ein Mensch wie alle anderen, er hat seine Grenzen, seine Probleme, seine Ãngste, seine ungelösten Fragen, seine Erfolge und Niederlagen.
Der einzige Unterschied ist, dass er es zu seinem Beruf gemacht hat zu versuchen, die Probleme der Menschen (mit ihnen zusammen) zu verstehen und ihnen, so gut es geht, zu helfen. Er ist Zeuge, Partner, Begleiter.
»Woher kommst du?« â Die Werte eines Therapeuten im Laufe seines Lebens
Manchmal scheinen meine Patienten zu denken: »Wo führt dieser Therapeut mich bloà hin? Weià er überhaupt selbst, wo es langgeht? Warum tut er das, was er tut?« Anders als es dem Bild vom undurchschaubaren Therapeuten entspricht â dem, der beeindruckt und einschüchtert â , kann es nützlich sein zu wissen, wer Ihr Therapeut ist, und seinen persönlichen Werdegang sowie seine Erfahrungen zu kennen, kurz: einen Blick hinter die Kulissen seines Lebens zu tun, bevor Sie sich ihm anvertrauen. Ich möchte Ihnen empfehlen, so wie ich es im Folgenden getan habe, zu erforschen, welche Werte in Ihrem Leben in der Vergangenheit eine Rolle gespielt haben bzw. gegenwärtig und zukünftig eine Rolle spielen werden.
Vierzig Jahre, um meine Berufswahl zu verstehen
Ich habe über vierzig Jahre gebraucht, bevor ich allmählich verstand, warum ich Psychiater geworden bin. Und es gibt bestimmt noch Dinge zu entdecken!
Ich habe mich lange in den Gründen für meine Wahl getäuscht. Als ich mit dreiÃig meine Facharztausbildung in der Tasche hatte, hatte ich keine Zweifel, wenn man mich fragte: »Warum bist du Psychiater geworden?« In einem fast brüsken Ton antwortete ich offenbar ohne Probleme: »Ich wollte seit frühester Kindheit Arzt werden.« Meine Mutter hatte mir gesagt: »Wenn ein Krankenwagen vorbeifuhr, bist du immer stehen geblieben, hast nicht weitergeredet, aufmerksam der Sirene nachgelauscht und gesagt: âºIch will Arzt werden.â¹Â« Ich habe diesen Gedanken nie fallen lassen und nach dem Abitur Medizin studiert, ohne mir je groà Fragen zu stellen.
Doch wenn man sich selbst keine Fragen stellt, tut es das Leben. Obwohl ich Internist werden wollte, entschied ich mich während der Sommermonate im vierten Studienjahr für ein Praktikum in Psychiatrie. Dieses Praktikum stand im Ruf, wenig Arbeit zu machen. Ich dachte, für ein Sommerpraktikum wäre das genau das
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